Das Mädchen auf den Klippen - Riley, L: Mädchen auf den Klippen - Girl on the Cliff
Sie sagte, sie wolle zu einem ihrer Ballettabende, und verschwand wochenlang. Meine Mutter war sicher, dass sie sich mit anderen Männern traf.«
»Lily ist also praktisch ohne die Mutter aufgewachsen, die Sebastian Lisle Hörner aufsetzte?«
»Ja. Du kannst dir keinen elenderen Mann als Sebastian vorstellen. Er kam uns oft mit Lily besuchen. Dann saß er hier am Tisch und fragte meine Mutter, ob sie etwas von ihrer Schwester gehört hätte. Obwohl ich damals erst fünf war, erinnere ich mich an sein verzweifeltes Gesicht. Sie hat ihn in ihren Bann geschlagen, diesen verblendeten alten Mann. Wenn Tante Anna dann – manchmal erst nach Monaten – auftauchte, hat er ihr jedes Mal verziehen.«
»Und Lily? Was für ein Leben muss sie geführt haben mit einem alten Vater und einer nie anwesenden Mutter?«
Kathleens Miene verfinsterte sich. »Genug davon! Ich will jetzt nicht mehr darüber reden. Was ist mit dir, Grania? Mit deiner Zukunft? Auroras Vater kommt bald zurück. Wenn er wieder da ist, wirst du nicht mehr gebraucht.«
»Wie du nicht über die Vergangenheit sprechen möchtest, bin ich nicht versessen darauf, die Zukunft zu diskutieren.« Grania stand auf. »Ich geh rauf in mein Zimmer, ein paar Sachen holen, die ich nach Dunworley House mitnehmen will.«
»Wie du meinst«, sagte Kathleen seufzend, als Grania den Raum verließ.
Da betrat John die Küche und legte die Arme um sie. »Hallo, Schatz. Wo bleibt der Tee?«
Aurora
Die Geschichte ist kompliziert, das wird mir gerade klar. Deshalb habe ich zur besseren Orientierung einen Familienstammbaum erstellt.
Geschafft! Das hat länger gedauert als das Schreiben der bisherigen Kapitel.
Auf den ersten Blick wirkt alles zufällig, doch das ist es nicht. Wir – die Ryans und die Lisles – lebten in einer winzigen, isolierten Gemeinschaft am Rand der W elt und waren seit Hunderten von Jahren Nachbarn, was erklärt, warum sich unsere Leben und jeweiligen Geschichten miteinander verbanden.
Bald wird auch mein Sterbedatum in den Stammbaum eingetragen, und ich bin Teil der Vergangenheit. Wir Menschen leben und treffen Entscheidungen, als wären wir unsterblich. Natürlich bleibt uns nichts anderes übrig.
Ich glaube, es ist Zeit, mich von Irland zu entfernen und einen Blick in die Zukunft, nach Amerika, zu werfen, in das Land der Hoffnung, wo Träume wahr werden und alles möglich ist.
Ein Land nach meinem Geschmack!
Dort glaubt man an Magie wie ich, weil das junge amerikanische Volk noch Erfahrungen sammeln muss, um klüger, vielleicht auch zynischer zu werden.
Wenden wir uns also Matt zu …
24
Matt zappte sich lustlos durch die Fernsehprogramme. Er schlief schlecht und konnte sich nicht konzentrieren. Grania war mittlerweile über sieben Wochen weg; fast vier hatte er nicht mehr mit ihr gesprochen. Charleys Mantra »Sie kommt zurück, wenn sie sich beruhigt hat«, klang immer hohler. Von Tag zu Tag wurde Matt klarer, dass Grania höchstwahrscheinlich nicht zurückkehren würde und ihre Beziehung zu Ende war.
Freunde, die Bescheid wussten, drängten ihn, ein neues Leben anzufangen. Er sei jung; viele seiner Altersgenossen hätten auch noch keine Familie gegründet. Außerdem sei er nicht mit Grania verheiratet. – Mit ihm zusammenzuleben war ihr wichtiger gewesen, als einen Ring am Finger zu tragen. Letztlich hatte sie seiner Familie und seinen Freunden beweisen wollen, dass sie keine Glücksritterin war.
Eigentlich, dachte er, hatten seine Freunde recht. Das Loft, in dem er mit Grania wohnte, war gemietet, und echte Vermögenswerte besaßen sie nicht. Ihm stand keine lange, schmerzliche Scheidung bevor. Er konnte einfach die Wohnung kündigen – was er ohnehin musste, sobald er nicht mehr in der Lage war, die Miete allein aufzubringen –, sich eine andere Bleibe suchen und neu beginnen. Ohne größeren finanziellen Verlust.
Doch emotional sah es anders aus.
Matt musste an seine erste Begegnung mit Grania denken. Er hatte mit Bekannten die Eröffnungsvernissage einer winzigen Galerie in SoHo besucht – einer seiner Freunde kannte den Inhaber.
In der Galerie hatte es von Menschen gewimmelt. Matt hatte die modernen Bilder an den Wänden flüchtig betrachtet; die merkwürdigen Farbkleckse, die aussahen, als wären sie von Kleinkindern gemalt worden, gefielen ihm nicht. Dann hatte eine kleine Skulptur auf einem Sockel in der Ecke des Raums seine Aufmerksamkeit erregt. Er war näher herangegangen, um sie zu begutachten, und hatte festgestellt, dass
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