Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
Mit Backpflaumen?« Sie streckte die Hand aus, um eine der Früchte zu stibitzen und über der Süße dumme Sorgen zu vergessen. Ehe sie sich’s versah, klatschte Barbaras Hand auf ihre. »Genascht wird nicht.« Drohend hob sie den Kochlöffel und verbiss sich ein Schmunzeln. »Wenn ich dich Gierschlund an meinen Topf lasse, habe ich nachher deinen Brüdern nur heiße Luft aufzutischen.«
Gespielt beleidigt trollte sich Magda, und Barbara setzte sich mit einem Kanten Brot und einem Krug Bier zu Tisch, um selbst zu frühstücken. Tagein, tagaus versorgte sie die Familie, die Hühner und die Ziegen, kochte für den Abend und half beim Mälzen und Maischen, doch diese kleine Weile mit ihrem Brot am Tisch, die gönnte sie sich, einerlei, welche Stürme um sie tosten.
Magda ging, um Grut zu sammeln, die Kräuter, die sie zum Würzen des Bieres brauchen würden. Die meisten Brauer setzten dem Getränk nur noch Hopfen zu, der es haltbar machte und ihm eine kräftige, bittere Note verlieh, doch ihr Großvater schwor auf das alte Rezept, nach dem seine Familie seit Jahrhunderten braute. Damals hatte noch der Landesherr das Grutrecht verliehen, das kostbare Privileg, die Kräuter sammeln und damit Bier brauen zu dürfen. Auch wenn der Hopfen die Würze im Grunde überflüssig machte, war der Großvater stolz auf dieses Recht und bestand darauf, es zu nutzen.
Die Gagelsträucher mit ihren schillernden, aromatisch duftenden Blättern hatte der Ahnherr des Großvaters vor hundertfünfzig Jahren auf dem Karren mitgebracht, als er dem Ruf des Markgrafen Otto I. gefolgt und aus dem Harz in die Mark Brandenburg gezogen war. In dem harschen, sandigen Boden der Mark verkümmerten die empfindlichen Pflänzchen, doch Großvaters Ahnherr war ein Sturschädel wie Großvater selbst und nicht bereit, aufzugeben. Mit unermüdlicher Pflege gelang es ihm schließlich, die Sträucher in der fremden roten Erde heimisch zu machen, und die herbe Bittersüße ihrer Blätter war das Geheimnis des Bieres, das seine Familie noch immer unverändert braute. So wie sie noch immer die Harzer genannt wurden, selbst wenn sie bald so lange hier lebten, wie das Städtchen Bernau zwischen sumpfigen Wäldern und buckligen Moränenhügeln stand.
Magda pflückte Blätter von den Zweigen, bis ihr Beutel voll war, und lauschte dabei auf das übermütige Johlen, das vom Fluss heraufdrang. Dann kehrte sie ins Haus zurück, um ihre Ausbeute bei Barbara abzuliefern. Die saß noch immer bei Tisch über Bier und Brot. Das kam sonst nie vor. Mehr als ein paar Augenblicke ließ sie sich für ihr Frühstück nie Zeit. Im Näherkommen sah Magda, dass sie im Sitzen eingeschlafen war, den Kopf in den Armen geborgen. Mit dem Ellbogen hatte sie den Krug umgestoßen, sodass sich eine dünne, bierduftende Lache über den Tisch ergoss. Auch das kam nie vor. Barbara war streng mit sich, schlief wenig und hasste Verschwendung. Sie würde zornig auf sich sein.
»Großtante Barbara!«, rief Magda, um sie zu wecken. »Ich bringe die Grut für die Würzepfanne!«
Barbara rührte sich nicht. Magda trat hinter sie und berührte ihre Schulter, packte, wie es ihre Art war, fest zu, um sie wachzurütteln, ließ aber gleich wieder los und zog die Hand zu sich. Ein Schrei lag ihr auf den Lippen, doch Entsetzen schnürte ihr die Kehle zu. Später wusste sie nicht zu sagen, woran sie gemerkt hatte, dass Barbara nicht mehr lebte. Sie war weder kalt noch steif, aber Magda erkannte es in dem Augenblick, in dem ihre Hand die vertraute Schulter umspannte: Barbara war tot. Die sorglose Heiterkeit des Brautags war verflogen. Von nun an waren Magda, Endres und ihre Brüder mit dem Großvater allein.
Vielleicht hätte Magda in jenem Moment des Schreckens an ihren Traum denken und den Zusammenhang erkennen sollen, aber sie tat es nicht. Barbara war alt gewesen, und alte Menschen starben. Dass sie – die kleine Magda Harzer aus Bernau – Träume hatte, die vom Tod kündeten, begriff sie erst Jahre später, in jener kalten Nacht zu Michaelis, die ihr Leben wie eine eisenblanke Sichel in zwei Hälften schnitt.
2
Der Großvater litt zum Gotterbarmen unter dem Tod seiner Schwester. Barbara hatte ihm zur Seite gestanden, als ihm erst seine Frau und dann seine einzige Tochter gestorben waren, doch jetzt stand ihm niemand zur Seite, und er war für den Rest seines Lebens allein. Magda sah, wie er sich mühte, seinen Schmerz vor ihnen zu verbergen. Als sei nichts geschehen, tat er von früh bis spät
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