Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
seine Arbeit und brummte dabei wie eh und je vor sich hin. »Du bist es jetzt, die sich um uns kümmern muss«, sagte er zu Magda. »Ist ja sonst nur noch Mannsvolk im Haus, das keinen Teller Grütze kochen kann, kann.«
Magda versprach es und war fest entschlossen. Weil der Großvater nicht weinte, wollte auch sie nicht weinen, sondern voll Tatkraft im Haus das Ruder führen, wie Barbara es all die Jahre hindurch getan hatte. Aber Magda war erst fünfzehn, und Barbara hatte sie mit ihrer Fürsorge verwöhnt. Mit dem großen Haushalt war sie heillos überfordert, und der Sturm der Traurigkeit, den sie nicht aus sich herausweinen durfte, ballte sich in ihr, als staue man die Frühlingsflut der Panke hinter Dämmen.
Von den Brüdern merkte niemand, wie ihr zumute war, und auch Endres schien nichts mitzubekommen, doch dem Großvater entging es nicht. Stillschweigend nahm er ihr die Pflichten in der Küche wieder ab und versah sie selbst. Von nun an schmeckte die Milchsuppe zumeist verbrannt und Kraut und Fisch versalzen, aber er sorgte für sie, und es erging ihnen wohl, wie es ihnen immer wohl ergangen war. Sie litten keinen Hunger, und sie litten erst recht keinen Mangel an Liebe. Ihr Haus war warm. Am Sonntag, in der Marienkirche, dankte Magda Gott dafür, dass er ihnen den Großvater geschenkt hatte. »Ich bitt dich, Allmächtiger Vater, lass ihn noch lange, lange, lange bei uns bleiben – so lange, wie die Panke Tropfen hat und das Moor ringsum im Frühling kleine Nattern, amen.«
Wenn der Großvater eines Tages nicht mehr da war oder wenn ihn die Kräfte verließen – wer würde ihr dann helfen, ihre Brüder zu hüten?
Nach der Messe ging sie ins Brauhaus, wo der Großvater Maische für ein deftiges Weizenbier anmischte, und schloss ihm von hinten die Arme um den Leib. »Danke, Großvater«, sagte sie. »Danke, dass du für uns kochst, weil ich es doch nicht zustande bringe, und danke, dass du auf uns achtgibst und unsere Kleider zur Lene zum Flicken bringst. Denk nur ja nicht, ich wüsste davon nichts, denn ich weiß jedes bisschen! Aber das eine, Großvater, das brauchst du nicht für uns zu tun.«
»Und was soll das sein?«
»Den strammen Maxen markieren.«
»Den was, was, was?«
»Den starken Mann, der sich das Weinen verdrückt, als hätte er Barbara nicht lieb gehabt.« Sie hatte kaum ausgesprochen, als ihre Tränen zu strömen begannen. Sie hielt sie nicht auf. Auf einmal kam es ihr falsch vor, dass sie so viele Tage lang um ihre Tante nicht geweint hatte.
Der Großvater drehte sich um und nahm sie in die Arme. »Ach herrje, du rotzfreches Kälbchen«, brummte er, »was für ein Segen bist du denn?«
»Es wird schon werden, Großvater«, sagte Magda und schmiegte sich an die weich geschabte Lederschürze des Alten, die nach Grut und Hopfen roch.
»Ist bisher doch auch geworden, was?« Unter seinem dichten Bartgestrüpp verkroch sich Großvaters Lächeln. »Hab ja meiner armen Sanne versprochen, dass ich euch großkrieg, als aufrechte Brandenburger, und mein Versprechen halt ich, da komme, was wolle. Wünschte nur, du wärst ein paar Jahre älter, damit du auf deine Brüder achtgeben könntest. Auf den Utz wie auf den Diether, denen fehlt ja die harte Hand des Vaters genauso wie die hätschelnde der Mutter. Deshalb sind sie wie junge Hunde und völlig außer Rand und Band. Nur der Lentz, der ist gut geraten. Ja, ja, auf den Lentz kann unsereins stolz sein, der macht mir keine Sorgen, Sorgen.«
Utz, so fand Magda, war auch gut geraten. Er war der Gelehrteste unter ihren Brüdern, war nach Chorin zum Unterricht gegangen, obwohl er die Klosterbrüder verabscheute, und bestand darauf, auch seine Geschwister Lesen und Schreiben zu lehren. »Wer dumm bleibt, bleibt arm«, hatte er ihnen erklärt. »Heutzutage, in unseren freien Städten, kann ein Bürgerlicher so viel werden wie ein Adelsmann, wenn er auf Bildung setzt und sich von seinem Weg nicht abbringen lässt.«
Einen so klugen und gebildeten jungen Mann konnte man doch wohl kaum als missraten und noch viel weniger als jungen Hund bezeichnen?
Was dagegen Diether betraf, so mochte der Großvater nicht ganz Unrecht haben. Der Jüngste der drei war im Grunde der liebenswerteste Bursche, der in Bernau herumlief, und mit seinem sonnigen Wesen, seinem Feuer und seiner Lebenslust gewann er Menschen in Scharen für sich. Ihr selbst hatte er die Kinderzeit zuweilen in eine Zauberwelt voller Farben und Träume verwandelt. Er vermochte aus dem Rohr des
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