Das Mädchen aus dem All
unbezwingbaren Raubtieres zu werden. Doch dieses Gefühl aus einer längst vergangenen Zeit rief die gleiche Reaktion wie früher hervor: Kampfeswut. Sie war das Erbe unzähliger Generationen namenloser Helden, die das Recht des Menschengeschlechts auf ein Leben unter Mammuten, Löwen, Bären, Stieren und Wolfsrudeln hartnäckig behauptet hatten.
Mwen Mass blieb stehen und lauschte mit angehaltenem Atem. Nichts regte sich in der nächtlichen Stille, doch schon nach wenigen Schritten merkte er, daß er verfolgt wurde. Tiger? Sollte Onar recht gehabt haben?
Mwen Mass begann zu laufen und überlegte fieberhaft, wie er sich der Raubtiere erwehren könnte.
Sich auf einen der niedrigen Bäume zu flüchten war sinnlos. Ein Tiger konnte besser klettern als ein Mensch. Den Kampf aufnehmen? Aber womit? Nicht einmal ein Ast ließ sich von den knorrigen Bäumen brechen. Als Mwen Mass das Brüllen ganz nah hinter sich hörte, fürchtete er, daß es um ihn geschehen sei. Mit einigen riesigen Sätzen stürzte er auf eine Lichtung zu. Dort sah er einen großen Haufen Steine liegen. Er wuchtete einen schweren, scharfkantigen Brocken hoch und drehte sich dem Wald zu. Auf den schwarzen Schatten zweier Bäume schlichen wie auf dunklen Pfaden zwei riesige Katzen auf Mwen Mass zu. Er spürte das Nahen des Todes, ähnlich wie damals in der unterirdischen Kammer des tibetanischen Observatoriums. Die grünen Flammen in den phosphoreszierenden Augen der Raubtiere kündigten es an. Tief atmete Mwen Mass die kühle Nachtluft ein und hob den Stein hoch über den Kopf.
»Ich helf dir, Freund!«
Eine große dunkle Gestalt stürmte auf die Lichtung, einen knorrigen Ast drohend zumSchlag erhoben. Mwen Mass erkannte den Mathematiker und war so verblüfft, daß er für einen Augenblick die Tiger vergaß. Völlig außer Atem, stellte sich Bet Lon schützend neben Mwen Mass. Die Riesenkatzen schlichen unerbittlich näher. Die eine war schon auf dreißig Schritt herangekommen und setzte zum Sprung an, da . . .
»Schnell!« tönte ein gellender Schrei über die Lichtung.
Hinter Mwen Mass, der vor Überraschung den Felsbrocken fallen ließ, flammten die Mündungsfeuer von drei Granatwerfern auf. Der zunächst stehende Tiger bäumte sich auf, als die lähmenden Granaten kurz nacheinander explodierten, und fiel ausgestreckt auf den Boden. Der andere jagte mit riesigen Sätzen dem Wald zu. Da tauchten die Umrisse dreier Berittener auf. Eine Glasgranate mit einer starken elektrischen Ladung zerschellte am Kopf des Tigers; er sackte in sich zusammen und blieb bewegungslos am Boden liegen.
»Ich habe gefühlt, daß Sie in Gefahr sind, Mwen Mass!«
Diese hohe, besorgt klingende Stimme kannte er doch! Tschara Nandi!
Vor Überraschung brachte er kein Wort hervor. Regungslos blieb er stehen, bis das Mädchen absaß und auf ihn zueilte. Fünf Berittene folgten ihr. Mwen Mass konnte ihre Gesichter nicht erkennen, da die Mondsichel bereits hinter dem Wald verschwunden war und die Dunkelheit der Nacht Wald und Lichtung einhüllte. Tschara berührte Mwen Mass’ Arm. Er nahm die schmale Hand des Mädchens und legte sie auf sein Herz.
»Tschara, das hier ist Bet Lon, ein neuer Freund . . . «
Doch der Mathematiker war bereits verschwunden. Mit lauter Stimme rief der Afrikaner in die Dunkelheit: »Bet Lon! Gehen Sie nicht fort!«
»Sie werden mich wiedersehen!« ertönte es aus der Ferne.
Einer von Tscharas Begleitern, anscheinend der Leiter der Abteilung, löste eine Signallampe vom Sattel. Ihren schwachen Lichtstrahl, kombiniert mit unsichtbaren Funkwellen, richtete er gen Himmel, Mwen Mass begriff, daß die Ankömmlinge auf einen Flugschrauber warteten. Alle fünf waren Jugendliche, Mitglieder eines Schädlingsbekämpfungstrupps, bei dem sie eine ihrer Herkulestaten ablegten. Tschara Nandi hatte sich auf der Suche nach Mwen Mass dem Trupp angeschlossen.
»Sie irren sich, wenn Sie uns für so scharfsinnig halten«, sagte der Leiter der Abteilung, als alle um die Lampe saßen und Mwen Mass Frage auf Frage stellte. »Das Mädchen mit dem altgriechischen Namen hat uns geholfen.«
»Onar!« rief Mwen Mass.
»Ja, Onar. Als unsere Abteilung sich der fünften Siedlung näherte, kam ein völlig erschöpftes Mädchen angelaufen. Wir waren auf der Suche nach Tigern, die dieser Gegend aufgetaucht sein sollten. Das Mädchen bestätigte die Gerüchte und überredete uns, Ihnen unverzüglich nachzugehen. Sie befürchtete, die Tiger könnten Sie auf dem Rückweg
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