Das Mädchen aus dem Meer: Roman
Brand.
Die Krieger auf den Mauern zielten mit Pfeilen, Bolzen und Kugeln auf die Manas, die furchtlos so tief flogen, dass ihre Schatten die Stadt verdunkelten, aber Anna wird wohl für alle Zeit der einzige Mensch bleiben, dem es je gelungen ist, ein Kriegsmana mit einer Handfeuerwaffe vom Himmel zu holen. Die Geschosse der Krieger richteten jedenfalls nur zusätzlichen Schaden an, denn sie prallten von ihren Zielobjekten ab oder verfehlten sie gleich und segelten, bestenfalls nutzlos, zum Teil aber auch mit schlimmen Folgen, auf die eigenen Mitstreiter hinab. Ich schrie und brüllte und boxte mich rücksichtslos zwischen den anderen Flüchtenden hindurch und schaffte es sogar bis auf den Anleger hinaus.
Aber unser Schiff hatte abgelegt.
Weit war es noch nicht gekommen, denn der überstürzte Aufbruch der zahlreichen Manis im Hafen hatte ein fürchterliches Chaos verursacht. Viele der Schiffe in den vordersten Reihen waren noch nicht angeheizt worden und konnten darum noch nicht ablegen, sodass sie als bemannte Hindernisse im Wasser dümpelten. Eisen und Blech krachten aufeinander, als sich andere Schiffe an ihnen und anderen, einfach nur langsameren Manis, vorbeizudrängeln versuchten. Das Bild ähnelte dem am Hafentor, nur dass hier nicht Menschen, sondern Schiffe aufeinanderkrachten.
Unseres, das in vorderster Reihe geankert hatte, hatte sich kaum fünf oder sechs Schritte vom Kai entfernt und versuchte sich in diesen Sekunden zwischen einem besseren Fischerboot und einem großen, ehemaligen Baustofftransporter hindurchzuquetschen. Cocha stand an der Reling und brüllte meinen Namen, als er mich auf dem Anleger entdeckte, aber ich erkannte es nur an der Art, wie sich seine Lippen bewegten – verstehen konnte ich ihn über den grausamen Lärm hinweg nicht, obwohl die Distanz zwischen uns nur einen Katzensprung betrug.
Aber ich bin keine Katze.
Ich setzte dazu an, vom Anleger zu springen, um zu schwimmen und irgendwie doch noch an Bord zu gelangen, aber als eine Widerhakenkugel gleich vor mir ins Wasser krachte und es meterhoch aufspritzen ließ, taumelte ich erschrocken zurück, glitt auf dem nassen Holz aus, stürzte und hatte mich gerade erst wieder auf Hände und Knie aufgerappelt, als ich die Welle am Horizont sah.
Natürlich wusste ich nicht, dass es eine Welle war. Ich würde dir gern erzählen, dass ich dachte, irgendeine Gottheit hätte ihre geflügelten Heerscharen gesandt, auf dass sie Montania, Kantorram und vor allem mich in allerletzter Sekunde vor dem sicheren Untergang bewahrten, oder dass ich gleich wusste, dass es eine Wand, nein, ein hundert Meter hoher Wall aus Wasser war, der auf die Küste zuraste. Aber so war es nicht. Ich glaube an nichts, und ich begriff erst viel zu spät, was ich sah. Viel zu lange war es für mich nur ein dunkelgrauer Streifen mit einem weißen Kamm, der von einem Ende der Welt zum anderen gereicht hätte, wenn die Erde eine Scheibe wäre. Und dieser Streifen wuchs mit rasender Geschwindigkeit, jagte auf Montania zu und raubte mir allein mit seinem Anblick den Atem und die Fähigkeit, mich zu regen. Angesichts dieser unbeschreiblichen Naturgewalt verkam das Grauen des Krieges, das bereits hinter mir tobte, zum unbedeutenden ersten Akt einer Tragödie, wie sie die Menschheit noch nicht erlebt hatte.
Cocha schrie immer noch nach mir und wedelte wild mit den Armen, während Golondrin und Mikkoka ihn gewaltsam daran hinderten, über die Reling zu springen, und ich richtete mich gänzlich auf, sprang aber nicht, sondern starrte auf das Meer hinaus, das sich aus seinem Bett zu erheben schien. Immer breiter und breiter wurde das graue Band, immer näher rückte es heran, und ich sah, wie es die ersten cyprischen Schiffe zu einem Teil gleich schluckte, zu einem anderen ein Stück weit an sich hinaufschießen ließ, ehe es sie verschlag oder in Stücke schlug, und zu einem dritten auf seinem Kamm herumspringen ließ wie Lachse, die einen Wasserfall hinaufgeschossen waren. Das Donnern, das damit einherging, übertönte selbst die Schreie der Masse und den Lärm der Geschosse, die auf die Stadt hinabregneten.
Als ich mich darauf besann zu springen, um das Schiff zu erreichen, um wenigstens in Cochas Armen zu sterben, war es längst zu spät.
Ich sah, wie die Welle unser Schiff in schwindelnde Höhen hob, aber ich habe keine Erinnerung an die Sekunde, in der sie mich erreichte, Froh. Das Nächste, woran ich mich entsinne, war, dass die ganze Welt einfach verschwunden war.
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