Das Mädchen aus dem Meer: Roman
an Mikkokas Seite an uns vorbeieilte. Auch sie war mit einem dieser Handfeuerwerfer bewaffnet, aber ich verzichtete darauf, sie über die Gefahren dieses Instruments aufzuklären, sondern erkundigte mich besorgt nach Mordi und Markannesch.
»Mordi ist bei den Manas an den Quellen«, antwortete Golondrin. »Und Markannesch wollte doch mit euch kommen.«
»Und ich dachte, er sei mit euch gegangen«, erwiderte ich wahrheitsgemäß.
Zunächst hatte der Alte in der Stadt bleiben wollen. Doch dann hatte er sich von Mordi, seinem Freund und Statthalter, dazu überreden lassen, mit uns auf das Schiff zu gehen. Mir dämmerte, dass er das nur gesagt hatte, um die Diskussion zu beenden und uns schließlich an der Nase herumzuführen und trotzdem hinter den Mauern Kantorrams – und damit vermutlich schon bald im Herzen der grausamsten Schlacht seit Menschengedenken – zu bleiben.
Wenn jemand an den Quellen sterben muss , hallten seine Worte hinter meiner Stirn wider, möchte ich der Erste sein. Denn allein mein Versagen ist der Grund für diesen Krieg …
Aber das war nicht richtig! Allein die Gier der Faronen war der Grund für diesen Krieg. Markannesch alias Gormo war ein gütiger Mann, eine gewissenhafte, reine Seele, die stets alles dafür getan hatte, um diesen Krieg zu verhindern. Selbst mit meinen Brüdern und mir, den Kindern seines größten Feindes, war er zu jeder Zeit anständig umgegangen. In den vergangenen Monaten hatte er sich mehr um mich bemüht und mit mir beschäftigt als mein Vater in meinem ganzen Leben zusammengenommen, denn der hatte immer nur irgendjemanden dafür bezahlt, sich um mich zu kümmern. Das war etwas ganz anderes; nicht halb so wertvoll und zudem sehr beschämend, seit ich die Menschen gesehen hatte, die für seinen Reichtum litten und sogar starben!
Markannesch musste mit uns kommen. Und darum machte ich auf dem Absatz kehrt und war schon längst über den Anleger zurückgeeilt, bevor Cocha auch nur merkte, dass ich nicht mehr neben ihm stand. Ich wollte nicht zulassen, dass er in der Stadt zurückblieb; dafür hatte ich ihn längst zu sehr in mein Herz geschlossen.
Gut: Ich hätte nicht ohne zu zwinkern mein Leben dafür riskiert, ihn zu uns aufs Schiff zu holen; so sehr ich mir solchen Edelmut auch für mich selbst wünsche. Aber ich hatte schlicht nicht geahnt, was in den nächsten Minuten geschehen würde. Niemand hatte das. Wir alle hatten mit einem geschlossenen Angriff der Fußtruppen, Schiffe und Flieger gerechnet. Aber die Manas meines Vaters warteten nicht, bis die Manis und Belagerungstürme in unmittelbarer Reichweite Kantorrams waren.
Sie zogen über die Schiffe hinweg und griffen an. Niemand hatte gewusst, wie schnell sie sein konnten.
Die erste Widerhakenkugel krachte gleich zu meinen Füßen ins Pflaster, kaum dass ich das Hafentor passiert hatte, und ich schrie entsetzt auf und drehte mich einen Moment hilflos im Kreis, unschlüssig, was ich als Nächstes tun sollte. Glas, Holz und Stein zersplitterten irgendwo zu meiner Linken unter einem weiteren Geschoss. Ein paar Dachziegel krachten auf die Straße, und eine davon erwischte mich an der Schulter. Daher der taube Arm, als du mich gefunden hast. Eine andere traf einen der montanischen Krieger an der Stirn, und der Mann kippte um wie ein gefällter Baum.
Ich verwarf die Idee, Markannesch zu uns zurückzuholen, und tat zwei, drei Schritte zurück in Richtung Hafen, aber ich war beileibe nicht die Einzige, die durch das Stadttor zu flüchten versuchte. Es war wie damals in Silberfels, als alle gleichzeitig aus dem Theater hatten entkommen wollen, und plötzlich ging es nicht mehr vor und nicht mehr zurück. Ich steckte fest in einem Pulk von Menschen, deren Entschlossenheit und Kampfeslust binnen eines Lidschlags blanker Todesangst gewichen war. Die wenigen Manas, die Montania überhaupt besaß, waren noch nicht einmal gestartet, und all die Freiwilligen erkannten voller Entsetzen, dass die Schleudern, Knüppel, Schwerter, Messer und selbst die Kugelpuffer in ihren Händen angesichts dieser Situation nichts als lächerliche Spielzeuge waren.
Wieder krachten tonnenschwere Eisenkugeln auf die Straße am Hafentor herab, eine ganze Salve dieses Mal, und sie zertrümmerten mehrere Dächer und einen Karren voller Pulverfässer, die mit einem ohrenbetäubenden Knall explodierten. Eine Rauchsäule und meterhohe Flammen schossen in den Himmel hinauf. Brennende Menschen setzten Kleidung und Haare anderer Menschen in
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