Das Mädchen aus dem Meer: Roman
Fantasie und noch mehr gutem Willen zum Schlachtschiff umfunktioniert worden war. Einzig die Rohre der schmucklosen Flammenwerfer waren aus Metall gefertigt, Füße und Verankerungen bestanden teilweise aus Holz, und einzelne Elemente waren sogar mit Wachstüchern gesichert, sodass ich nicht sicher war, ob sie auch nur eine Handvoll Zündwolle auf einem feindlichen Schiff entfachen konnten, ohne sich dabei selbst in Rauch und Asche aufzulösen. Daneben gab es ein knappes Dutzend sichtlich eilig angebrachter Kugelsc hleudern auf dem Hauptdeck, aber keine vernünftigen Kugel n, sondern bloß einen Berg von Felsbrocken, die ungefähr in die Rohre passen müssten. Um das entmutigende Bild abzurunden, hatte irgendjemand ein vorzeitlich anmutendes Katapult auf der Navigationskajüte errichtet, das sich womöglich bei der ersten Windbö freiwillig in die Fluten stürzen würde, wenn nicht vorher jemand in unmittelbarer Nähe zu heftig nieste.
Ich war entsetzt.
»Das ist mit Abstand das erbärmlichste Boot, das ich je gesehen habe«, zischte ich Cocha zu, der mich über den Steg aufs Deck dieser schwimmenden Katastrophe zog.
»Es ist eines der besten, die wir haben«, behauptete er. »Die wenigen Kriegsmanis sind mit Kriegern besetzt, die in der ersten Reihe kämpfen werden. Aber auch sie haben ihre beste Zeit längst hinter sich, glaub mir.«
Zweifelnd ließ ich den Blick über die anderen Schiffe an diesem Anleger gleiten, stellte aber schnell fest, dass Cocha die Wahrheit gesagt hatte: Viele der Schiffe waren in noch schlechterem Zustand als unseres, und manche waren noch nicht einmal mit Kugelschleudern ausgestattet, sondern nur mit wild entschlossenen Montaniern, die Bögen, Armbrüste und sogar Steinschleudern hielten. Hier und da blitzte ein Kugelpuffer, aber es waren nicht viele, und manche waren so rostig, dass sie wahrscheinlich nach einem oder zwei Schüssen in ihre Einzelteile zerfallen würden. Irgendjemand war so schlau (oder verzweifelt) gewesen, eine verkleinerte Variante des gängigen Flammenwerfers zu entwickeln, und nun erblickte ich diese eigenwilligen Konstruktionen aus ausgehöhlten Großwildknochen, vor denen funkensprühende Zündseile baumelten, in zahlreichen schmutzigen Händen – auch auf unserem Schiff liefen einige der Paradieslosen damit herum, was in meinen Augen an Selbstmord grenzte. Sie würden sich die Haut samt Muskeln damit von den Unterarmen brennen, dachte ich entsetzt.
Aber vielleicht war es das kleine Übel, brennend in die Fluten zu springen, als sich tatsächlich mit diesen Mitteln gegen ein zahlenmäßig weit überlegenes Heer zu stellen, das über die wirkungsvollsten Mordinstrumente verfügte, die überhaupt je existiert hatten …
Ein Blick zur Landzunge hin machte mir übrigens klar, dass sich Cocha vorhin auf der Mauer arg verschätzt hatte. Die Belagerungstürme, die die Front der Fußtruppen und berittenen Krieger markierten, waren schon so nahe heran, dass ich, wenn ich genau hinsah, schon die meterlangen Spieße an ihrer Vorderseite erkennen konnte, und auch die Masse der Manas und Manis bewegte sich unerbittlich auf uns zu. Sie würden nicht bis zum Einbruch der Nacht warten, und bis zum Morgengrauen schon gar nicht. Uns blieben bestenfalls noch zwei oder drei Stunden.
Ein Schatten schlich über das Deck, und ich legte den Kopf in den Nacken und sah einen Balken, der sich in einigen Mannslängen Höhe durch die Zinnen der Stadtmauer über den Anleger schob. An seinem Ende baumelte eine Art Anker.
»Was ist das?«, fragte ich verwirrt.
»Schiffsklauen«, erklärte Cocha und lenkte meinen Blick nacheinander nach rechts und nach links, wo nun immer mehr dieser riesigen hölzernen Arme über die Stadtmauer langten. »Wir werden gleich ablegen und die Küste in Richtung Inland hinunterfahren. Die Männer deines Vaters werden glauben, dass wir fliehen.«
»Und dann steuern sie sofort den Hafen an und verwandeln die Wehrmauern mit Widerhakenkugeln und Flammenwerfern in ein Trümmerfeld«, vermutete ich.
»Genau das werden sie versuchen. Zumindest hoffen wir, dass sie sich nicht die Mühe machen werden, uns zu verfolgen. Sobald sie nahe genug heran sind, kommen die Schiffsklauen zum Einsatz. Sie packen die Manis an der Reling und kippen sie einfach um. Und dann machen wir kehrt und kümmern uns um die, die übrig bleiben«, führte Cocha hoffnungsfroh aus.
Aber es fiel mir schwer, seine Zuversicht zu teilen, darum schwieg ich und wandte mich an Golondrin, der gerade
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