Das Mädchen aus dem Meer: Roman
anderes mehr übrig geblieben, als sich zu erneuten Verhandlungen mit Gormo zu treffen, und ich hätte darauf bestanden, dass auch Cocha und ich …
Na, egal. All diese Spinnereien waren natürlich die ganze Zeit über so naiv gewesen, dass sie an Utopie grenzten, aber das begriff ich erst, als es längst zu spät war. Ich erkannte, dass ich nicht einmal auf zweihundert Schritt Nähe an das cyprische Heer herankommen würde, ohne von einem Monsun aus Bolzen, Kugeln und Sprengbeuteln zerfetzt zu werden. Und wenn ich auf die dämliche Idee gekommen wäre, mich durch den Sand zu graben, wäre ich vom Gewicht der vierzig Meter hohen Belagerungstürme, die das Heer vor sich herschob, plattgewalzt worden.
Moijo und Markannesch hatten uns und die anderen Hohenheimer Kinder einmal zum Erlebnislernen in ein nahes Militärlager gebracht, darum war es nicht das erste Mal, dass ich Belagerungstürme sah, Froh. Aber ich hatte noch nie so gewaltige, nicht etwa hölzerne, sondern mit Eisenplatten gepanzerte Exemplare gesehen. Falls es überhaupt irgendjemanden gab, der dahinter oder da drinnen das Sagen hatte, weil nicht jedes Detail des Angriffs lange im Vorfeld eingespielt war, dann würde ich denjenigen überhaupt nicht finden. Geschweige denn erreichen.
»Ich würde dir gern sagen, dass du noch immer umkehren kannst«, flüsterte Cocha traurig und zog mich dicht an sich, um auch seinen anderen Arm um meine Schultern zu schlingen und meine Stirn auf seine Brust zu betten, damit ich das nahende Grauen wenigstens für einen kurzen Moment nicht mehr sehen musste. »Aber das wäre nicht ehrlich«, sagte er. »Du würdest den Weg in die Sümpfe kaum überleben, denn jeder, der dich unterstützen könnte, ist mit uns hierhergekommen und wird auch bis zum Schluss bleiben. Und wenn dein Vater die Stadt erst eingenommen hat, gibt es nichts, was ihn davon abhalten kann, auch über die anderen Ortschaften herzufallen. Selbst über die Sümpfe.«
Ich hob den Blick und maß ihn mit Augen, die sich mit Tränen der Hoffnungslosigkeit füllten. »Du meinst, dass wir hier sterben werden«, stellte ich fest.
Er verneinte. »Ich meine, dass wir kämpfen müssen«, verbesserte er mich und hob mein Kinn mit zwei Fingern an, um mir eine salzige Träne von der Wange zu küssen. »Und ich meine, dass wir es schaffen können. Ja, es sind viele. Sehr viele sogar, und sie sind bei Weitem besser gerüstet als unsere eigenen Krieger. Sechzigtausend gegen achtzehnhundert ausgebildete Kämpfer, viereinhalbtausend Paradieslose und rund dreißigtausend freiwillige Männer und Frauen, um genau zu sein. Und die meisten unserer Schiffe sind einfache, zweckmäßig umgerüstete Handelsmanis. Eigene Manas haben wir fast überhaupt keine, aber das alles hast du ja schon von Mordi und Gormo gehört. Trotzdem«, setzte er überzeugt hinzu. »Sie haben nur einen einzigen Versuch. Und für die Krieger deines Vaters geht es nur um einen erhöhten Sold. Für Montania hingegen geht es um alles.«
Und damit sprach er den Menschen in den Straßen und Lagern und dem vergleichsweise mickrigen Heer Gormos vor der Stadtmauer geradewegs aus der Seele. Rein rechnerisch war jedem klar, dass Montania dieser gigantischen Streitmacht nichts entgegenzusetzen hatte. Aber sie bauten auf die Kraft der Verzweiflung, und weil es mir an Alternativen mangelte, straffte ich die Schultern und reckte entschlossen das Kinn in den Wind, um ebenfalls Zuversicht zu demonstrieren, während Cocha mich von der Mauer und über den Anleger lenkte, wo unser Mani im Wasser lag.
Und bevor ich es aus der Nähe sah, hatte ich tatsächlich einen Hauch von Hoffnung.
Euer Mani? Woher hattet ihr plötzlich ein eigenes Boot?
Das Mani, das Mordi und Markannesch unserer Gruppe zugewiesen hatten, meine ich. Ich nenne es nur unser Mani, weil es fast ausschließlich von Paradieslosen besetzt war. Wie alle anderen Schiffe auch wäre es mit dem Kapitän, dem Maschinisten, einer Handvoll Seemänner und den dafür verfügbaren Kriegern allein völlig unterbesetzt gewesen, und weil Cocha und Golondrin immerhin fast abgeschlossene Navigationsausbildungen vorweisen konnten und an Kratt und Mikkoka nicht nur die vielleicht weltbesten Nahkämpfer, sondern auch geschickte Schützen verloren gegangen waren, lag es nahe, dass wir unseren Beitrag zum Sieg auf einem Mani leisten sollten.
Wie die meisten anderen Manis handelte es sich allerdings auch bei diesem um ein Handelsschiff, das mit begrenzten Mitteln, aber viel
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