Das Mädchen-Buch
1.000 Freunde für 100 Euro bieten manche Firmen an. Seit Facebook müsste der Begriff »Freunde« eigentlich neu definiert werden. Was sind Freunde? Wenn man Mädchen das fragt, nennen sie ganz detaillierte Eigenschaften, die sie besitzen müssen: »Sie müssen verlässlich sein«, »Sie müssen immer | 188 | zu einem stehen«, »Sie dürfen keine Geheimnisse weitererzählen«, »Mit ihnen möchte man alles teilen«. Die 500 Freunde auf Facebook sind eine andere Art von Freunden. Ein Drittel davon kennen die Mädchen gar nicht persönlich.
Facebook-Freunde sind auch Freunde, vor denen Mädchen sich zeigen möchten, sie wollen ihr Profil modellieren. Dazu laden sie Kinderfotos von sich hoch, den neuesten Partyschnappschuss oder ein selbst gedrehtes Video, das die anderen dann »liken« sollen. Bekommt man viele »Likes«, ist man trendy, angesagt. In ständiger Erwartung neuer Tweets und Posts gehen manche mit dem Handy ins Bett. Wessen »Post« »geliked« wird, der ist wer. Wehe, wenn keiner seinen Smiley an das neue Foto macht und man nicht »bestätigt« wird! Dann kann die Stimmung auch umschlagen.
»Durch Facebook ist der User nicht nur ein Künstler am eigenen Selbstbild, sondern er erlebt sich auch als Autor oder Herausgeber. … Jeder kann mit minimalen Möglichkeiten seinen Freundeskreis aktivieren, informieren, sensibilisieren oder begeistern«, betont der Kölner Psychologe und Medienforscher Stephan Grünewald die Bedeutung von Facebook. 79
»Mit jedem persönlichen Foto, das ich platziere, mit jedem klugen eigenen Beitrag, mit jedem Verweis auf selbst Gelesenes oder selbst Geleistetes, mit jeder ironischen Replik und selbst mit meinen gut gewählten Gefallensbekundungen gestalte ich das Wunschprofil meiner selbst.«
STEPHAN GRÜNEWALD, DIPLOM-PSYCHOLOGE
Durch die detaillierten Updates der Freunde entsteht das Gefühl, dass man den anderen besonders nah sei. »Ambient Awareness«, Umgebungsbewusstsein, nennen es amerikanische Sozialwissenschaftler. Es ist das Gefühl, »als sei man einer | 189 | Person nicht nur physisch nah, sondern auch gleichzeitig in der Lage, ihre Stimmung mittels kleiner Hinweise – Körpersprache, Seufzer, beiläufiger Kommentare – aus dem Augenwinkel heraus wahrzunehmen.« 80
Dunbar-Zahl
»Zu etwa 150 Menschen kann ein Mensch zur selben Zeit persönlich soziale Kontakte haben.« Das vermutete 1998 der Anthropologe Robin Dunbar, zu mehr sei das menschliche Gehirn nicht in der Lage. Psychologische Studien bestätigten Dunbars Hypothese. 81
Die Möglichkeit, über das Internet zu vielen Menschen Kontakt zu haben, hat Vor- und Nachteile. »Weak ties«, schwache Bindungen, nennen Forscher die entfernteren Kontakte (wie z. B.: »Ein Mädchen aus einer anderen Stufe hat mich angeschrieben, ich habe persönlich noch nie mit ihr geredet«). Vorteil der »weak ties« sei, dass sie unser Problemlöseverhalten verbessern. Zufällige Bekanntschaften um Rat bei der Jobsuche zu fragen sei unter Umständen hilfreicher als nahe Freunde, die uns zu ähnlich seien und von denen wir unter Umständen keine neuen Hinweise bekämen. Auf der anderen Seite verbrauchen Beziehungen zu entfernteren Personen einen Teil unserer »emotionalen Kapazitäten« und verdrängten Menschen aus dem echten Leben. 82
Meine Freunde treffe ich online
Die 13-jährige Signe hat es durchgesetzt, dass der Computer auf dem Esstisch im Wohnzimmer steht. Dort sitzt sie nach der Schule, hört Musik, chattet, postet, liket, schaut Videos auf You | 190 | tube und ist »on«. Dabei macht sie ihre Hausaufgaben. Wenn ihre Mutter heimkommt, bleibt sie sitzen. Die Mutter macht Essen. Sie essen zusammen am Computer und sie unterhalten sich ein bisschen. Dann geht die Mutter zum Sport. Ihr Vater wohnt weit weg. Signe bleibt sitzen. Ihr Kontakt zur Außenwelt ist das World Wide Web – fast rund um die Uhr.
»Meine Eltern sagen, dass ich zu viel im Internet bin, aber fast alle in meinem Alter machen das. Das hat aber auch Nachteile, man trifft sich nicht mehr so oft.«
TABEA, 14 JAHRE
In Elterngruppen sorgen sich zunehmend Eltern um die Mediennutzung ihrer Kinder. Was machen die da? Wie lange sitzen sie am Computer? Wieso können sie ihr Handy nicht mehr aus der Hand legen, selbst, wenn in der realen Welt Freundinnen vor ihnen sitzen und mit ihnen reden wollen?
Mädchen, die drei Stunden am Tag am Computer sitzen oder das Handy unters Kopfkissen legen, sind nicht gleich süchtig. Die Frage ist, was sie im Internet machen
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