Das Mädchen-Buch
und was sonst noch. Bearbeiten sie am Computer ihre Fotos, schneiden sie einen selbst gedrehten Film oder suchen sie verzweifelt nach Anerkennung, Kontakt und einem Mittel gegen ihre Einsamkeit? Gefährlich wird es, wenn der Computer zum Trostspender wird, wenn es nur noch virtuelle Kontakte gibt, wenn andere Interessen vernachlässigt werden, wenn das Dabeisein zum Zwang wird, wenn Essen und Unterhaltungen nur noch nebenbei an zweiter Stelle stattfinden. »Gaming the hurt away«, »den Schmerz wegspielen«, nennen es Experten. Bedürfnisse danach, gesehen zu werden, in Kontakt zu sein, bestätigt zu werden, finden in der realen Welt nicht genug Befriedigung, das | 191 | Internet bietet einen vorläufigen Ersatz. Hier hat man Erfolge, findet andere, die mit einem »reden«. Unter Umständen sind es alles andere als Freunde:
Auf eine traurige Weise wurde die 15-jährige Kanadierin Amanda Todd berühmt. In der siebten Klasse, gerade mal zwölf Jahre alt, setzte sie sich vor eine Webcam, um neue Leute zu treffen und zu reden. Sie bekam Anerkennung für ihr Aussehen, sie sei »toll«, »schön«, »perfekt«, sagte ihr ein »Freund«. Dann wollte ihr vermeintlicher Bewunderer, dass sie sich entblößt, und sie tat es. Und dann wurde sie erpresst. »Wenn du keine Show für mich hinlegst, schicke ich deine Titten rum.« Und so ging es los. Sie bekam Angst, Panikattacken, und der Typ baute eine Facebook-Seite mit ihrer nackten Brust als Profilfoto. Er schickte das Bild an ihre Freunde, Mitschüler und Verwandte. Klassenkameraden versendeten es sich auf ihren Smartphones. Amanda hatte nirgendwo Rückhalt, alle sahen das Foto, sie wurde in der Schule beschimpft, gemobbt, mit abfälligen Bemerkungen bedacht. Sie wechselte die Schule. Dreimal. In der neuen Schule saß sie allein. Als sie sich mit einem Jungen einließ, trommelte seine Freundin 15 Leute zusammen, sie beschimpften Amanda, schlugen sie zusammen, filmten das Ganze und stellten es ins Internet. Sie machte einen Selbstmordversuch. Als sie aus dem Krankenhaus nach Hause kam, las sie bei Facebook, sie solle ein anderes Bleichmittel nehmen, mit dem sie dann hoffentlich sterben würde. Dann hat sie eine Überdosis genommen, kam wieder ins Krankenhaus und wurde nach zwei Tagen entlassen. Sechs Wochen später hängte sie sich in ihrem Zimmer auf. 83
Die traurige Geschichte von Amanda ist extrem und lässt einen fassungslos zurück. Der 13-jährigen Amerikanerin Megan Meier erging es ähnlich. Sie hatte sich in eine Internetbekanntschaft verliebt. Irgendwann wandte sich der virtuelle Freund von ihr ab und hetzte die Onlinegemeinde MySpace gegen sie auf. In Wahrheit steckten hinter dem Profil des Jungen eine ehemalige Freundin und deren Mutter. Auch Megan nahm sich das | 192 | Leben. 84 Selbst wenn der Psychoterror nicht dieses Ausmaß annimmt: Mobbing und sexuelle Übergriffe im Internet passieren täglich und Mädchen machen häufiger unangenehme Erfahrungen im Internet als Jungen. 85
Internetmobbing
17 % der 12- bis 19-jährigen Mädchen sagen, dass es ihnen schon passiert ist, dass jemand peinliche oder beleidigende Bilder oder Videos von ihnen im Internet verbreitet hat. Ein Viertel hat es schon erlebt, dass im Internet jemand gezielt von der »Peer-group« fertiggemacht wurde. 86
Handy-Mobbing
Natascha ist dreizehn Jahre alt und sie erzählt in der Beratung, was ihr über das Handy passiert ist. Sie sei bei »What’s App« immer wieder in eine Gruppe hineingekommen, obwohl sie das nicht wollte. Sie sei immer wieder ausgestiegen. Der »Gruppenleiter«, das ist in der Regel der, der eine solche Gruppe bei »What’s App« gründet, habe sie immer wieder reingeholt. »Komm, lass uns Natascha in die Gruppe holen und sie dann wegmobben«, hatte er die Parole ausgegeben.
In der Gruppe waren Freunde ihrer Klassenkameraden. Die Mitglieder der Gruppe haben ihr dann massiv auf verhöhnende Weise ihre Liebe erklärt. »Mich hat das fertiggemacht«, erzählt Natascha, »ich bekam 500 Nachrichten in der Stunde.« Sie sei dann aus der Gruppe raus und habe alle gesperrt. Außerdem habe sie die Lehrerin informiert.
Handys werden auch benutzt, um gewalttätige oder pornografische Filme zu verschicken. Eine bedrückende, Angst machende und verstörende Möglichkeit, die Medien bieten. Andere | 193 | Menschen runterzumachen ist Kult, und Fernsehsendungen, in denen junge Menschen bloßgestellt und erniedrigt werden, haben hohe Einschaltquoten. Darüber hinaus eröffnen Medien die
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