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Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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keines Blickes.
    »Ich liebe Eure Tochter!«, schrie Mercurio, und erschrocken wurde ihm bewusst, dass er dies erstmals laut vor ihm äußerte.
    Isacco wollte sich gerade auf ihn stürzen, als die Tür aufschwang.
    Der Kardinal und zwei andere Huren kamen mit gesenkten Köpfen und rot geweinten Augen herein. Sie trugen eine Bahre, auf die sie mit aller Behutsamkeit den Leichnam ihrer Freundin legten, als wäre sie noch am Leben, und brachten sie dann hinaus.
    Isacco ging gemessenen Schrittes zur Tür und schloss sie. So blieb er stehen, eine Hand auf der Klinke und den Rücken zu Mercurio gewandt. »Wenn du Giuditta wirklich liebst«, sagte er ernst und leise, »dann werde dir bewusst, wie viel Schmerz du ihr bereiten würdest. Überleg dir das, wenn du sie liebst.«
    Mercurio fühlte sich beschämt und gedemütigt. Er schloss das Säckchen mit den Münzen und steckte es weg. Ein Teil von ihm gab dem Doktor recht, und schon wollte er sich geschlagen geben. Doch dann dachte er an Anna und daran, wie viel Vertrauen sie in ihn setzte. Und vor allem daran, wie Giuditta ihn jedes Mal ansah, wenn sie sich begegneten. Er war sich sicher, dass sie ihn mit derselben Entschiedenheit liebte wie er sie. »Nein«, sagte er. »Nein!«
    Isacco wandte sich um, sein Gesicht war gerötet.
    »Ich werde ein ehrbarer Mensch!«, beharrte Mercurio. »Ich werde Giudittas würdig sein!«
    »Ja? Und weiter?« Isaccos Gesicht rötete sich immer mehr. »Wirst du auch Jude werden?«
    »Ja, wenn es sein muss!«
    »Verschwinde, Junge. Unsere beiden Welten können vielleicht nebeneinander bestehen, aber niemals zu einer einzigen werden.«
    »Weil Ihr keine Fantasie habt«, erwiderte Mercurio instinktiv.
    »Und was willst du mit deiner Fantasie ausrichten?«, fragte Isacco spöttisch und zog eine Augenbraue hoch.
    »Man kann sich eine andere Welt vorstellen.«
    Isacco betrachtete ihn schweigend. Dann schüttelte er den Kopf und öffnete die Tür: »Verschwinde, Junge. Du bist nur ein Dummkopf.«
    Mercurio bewegte sich langsam und so würdevoll wie möglich. Als er an Isacco vorüber in Richtung Tür ging, setzte er noch einmal an: »Ich werde …«
    »Du weißt ja nicht einmal, wer du jetzt bist«, unterbrach ihn Isacco wütend. »Wie sollst du da wissen, wer du werden wirst?«
    Mercurio fuhr herum. »Ich kann jeder sein, der ich sein will!«
    »Na siehst du, du bist also doch nur ein Schwindler!« Isacco schob ihn zur Treppe. »So kann nur einer denken, der durch und durch ein Betrüger ist. Ein ehrbarer Mensch will nicht sonstwer sein, sondern nur er selbst, du Dummkopf!«
    Mercurio war tief getroffen. Er fürchtete, Isacco könnte recht damit haben, dass er selbst nicht wusste, wer er wirklich war. Dass er vielleicht ein Niemand war. Und diese Furcht brannte in ihm wie reiner Alkohol und entfachte in ihm diese Wut, die ihn angetrieben hatte, immer weiter vorzupreschen. »Ihr haltet mir hier eine hehre Predigt, aber wie könnt Ihr zulassen, dass Eure Tochter eingesperrt lebt wie ein Tier? Was für ein Mensch seid Ihr? Was für ein Vater seid Ihr? Ist es das, was Giuditta verdient?«
    Isacco sprang mit ausgestreckten Armen vor. »Du verdammter Dreckskerl!«, brüllte er und warf sich mit seiner ganzen Wut auf Mercurio. Das Gebrüll, ungewohnt auf diesem Stockwerk der Kranken, rief den Kardinal und die anderen beiden Huren herbei, und sie gingen dazwischen. Als man sie trennte, hatte Isacco nicht den Mut, dem jungen Mann ins Gesicht zu sehen. Denn auch er fürchtete, dass der andere recht haben könnte. Er hatte seine Tochter von ihrer heimatlichen Insel fortgeholt, um ihr ein besseres Leben zu bieten. Aber war das Leben hier wirklich besser?
    »Ich werde Giuditta von hier fortbringen!«, schrie Mercurio ihm nach, während man ihn wegzog.
    »Und ich werde dir dein Herz mit meinen Zähnen aus dem Leib reißen!«, erwiderte Isacco, jedoch so kraftlos und leise, das niemand ihn hörte. »Schickt ihn weg«, sagte er mit gesenktem Kopf und ging seine Sachen aus dem Raum am Anfang des Flurs holen.
    Mercurio verließ das Castelletto so aufgebracht, dass er nicht klar denken konnte. Er fühlte in sich großen Zorn angesichts der Gemeinheiten, die Isacco ihm an den Kopf geworfen hatte, zugleich aber auch eine tiefe Verunsicherung, weil vieles von dem Gesagten ihn ohnehin schon umtrieb. Würde er es schaffen? Würde er ein richtiger Mann werden? Einer von denen, die nicht ihr Leben lang weglaufen und sich verstecken müssen?
    Während er sich in diesen

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