Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
Calle dei Fuseri, wo Zolfo Benedetta inzwischen eingeholt hatte. Nun standen beide mitten auf der Straße und schienen sich angeregt zu unterhalten.
»Was werden sie jetzt tun?«, fragte Giuditta nachdenklich.
»Sich als Diebe … und Betrüger … durchs Leben schlagen«, erklärte ihr Mercurio unbekümmert. Er nahm die Perücke mit der falschen Tonsur ab. »Leute wie wir können doch gar nichts anderes …«
»Lass mal sehen«, sagte Isacco. »Vorausgesetzt, du traust einem falschen Doktor.«
»Mehr als einem echten …«, erwiderte Mercurio und legte sich wieder hin.
Isacco schnitt die Mönchskutte mit einem Messer auf und sah sich die Wunde an. Dann schüttelte er stumm den Kopf.
Giudittas Augen füllten sich mit Tränen.
»Wer zum Teufel hat dir denn diesen Verband angelegt?«, fragte Isacco.
»Ich«, antwortete Zuan.
»Dann bleibst du wohl besser Seemann«, brummte Isacco.
Inzwischen hatte das Boot Fahrt aufgenommen. Sie fuhren den Rio di San Mosè entlang und hatten im Handumdrehen den Canal Grande erreicht, wo sie in Richtung Riva dei Schiavoni nach Backbord steuerten.
»Der Junge hier muss unbedingt genäht und ordentlich mit Arzneien versorgt werden«, erklärte Isacco Lanzafame. »Wir müssen zum Hospital.«
»Denk nicht mal im Traum daran, Doktor«, erwiderte der Hauptmann.
»Doch!«, widersprach Giuditta entschlossen.
»Nein«, sagte Lanzafame erneut, »wir können uns mit dir keinesfalls in Venedig blicken lassen, das ist völlig ausgeschlossen. Sobald man bemerkt, dass wir nicht in den Kerker zurückgekehrt sind, wird eine Hetzjagd ohnegleichen beginnen.«
»Aber …«
»Das ist völlig ausgeschlossen«, schnitt Lanzafame ihr das Wort ab. »Wir fahren jetzt zuerst zu unserem Schiff. Und dann wird sich der Doktor von diesen buonavoglia nach Mestre rudern lassen, holt dort alles, was er benötigt, und kommt zu uns zurück. Nur so besteht für uns überhaupt eine Hoffnung, nicht erwischt zu werden. Jeder andere Plan ist von vornherein abgelehnt.« Er sah Mercurio an: »Habe ich recht, Junge?«
»Ihr habt absolut recht …« Mercurio hob den Kopf und wandte sich an Tonio und Berto. »Los, zeigt, was ihr könnt«, sagte er zu ihnen. Und dann rief er mit aller ihm verbliebenen Kraft: »An die Ruder – fertig – los, buonavoglia !«
Das Boot pflügte durch das Wasser. Tonio und Berto legten so viel Wucht in ihren Schlag, dass die Riemen ächzten.
Ihr Aufenthalt an Zuan dell’Olmos Werft reichte kaum aus, um ihre menschliche Fracht auszuladen, da waren die beiden schon wieder nur mit Isacco an Bord unterwegs nach Mestre.
Mercurio wurde von kräftigen Armen getragen, und Giuditta ließ seine Hand nicht einen Moment los. Behutsam legten Zuans Männer ihn auf das Oberdeck des Schiffes.
Mosè lief jaulend um Mercurio herum, wedelte verhalten mit dem Schwanz und leckte seine Hand.
Als Zuan seine Altmännermannschaft an Bord getrieben hatte und die angeheuerten buonavoglia gerade damit beschäftigt waren, die Ruder der Karacke abfahrbereit zu machen, waren auch Tonio und Berto wieder zurück.
Neben Isacco hatten sie auch Anna an Bord, die blass und kummervoll wirkte.
»Ich konnte sie nicht davon abhalten, tut mir leid, Junge«, sagte Isacco im Spaß und kam mit seiner Instrumententasche und einem Beutel mit Heilkräutern und Salben an Deck.
Giuditta saß immer noch neben Mercurio und litt mit ihm.
»Venedig ist das reinste Tollhaus«, erzählte Tonio. »Was für ein Durcheinander! Die Hälfte der Leute will die Hexe fangen, und die andere Hälfte will sie bei sich zu Hause verstecken. Das könnte glatt in einen Bürgerkrieg ausarten!«
Isacco öffnete seine Instrumententasche.
»Mein Junge«, sagte Anna und kniete sich besorgt neben Mercurio.
Seine Lippen verzogen sich zu einem schwachen Lächeln.
Anna schaute ihn voller Liebe an, ehe ihr Blick auf Giuditta fiel, die sie nun zum ersten Mal sah. Ihr ging durch den Kopf, dass Mercurio Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hatte, um für dieses Mädchen die Welt zu verändern. Und als sie nun sah, mit welch inniger Zärtlichkeit Giuditta Mercurio in die Augen schaute, war sie sich endgültig sicher, dass es die Mühe wert gewesen war, dass er sein Glück gefunden hatte.
»Wenn du ihn nicht rettest, dann kannst du dein Hospital vergessen, so wahr mir Gott helfe«, sagte Anna dann resolut zu Isacco.
»Ach, halt den Mund, lästiges Weib«, erwiderte der unwirsch. »Lass mich in Ruhe meine Arbeit tun.«
Anna bekreuzigte sich rasch,
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