Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
schmerzhaft in den Augen.
Keuchend, mit starrem Blick und geöffnetem Mund wandte er sich Giuditta zu.
»Was ist los?«, fragte sie angstvoll und näherte sich ihm von der anderen Seite der Gitterstäbe.
Mercurio schüttelte stumm den Kopf.
Über dem Kapitelsaal war eine unnatürliche Stille herabgesunken. Alle Blicke galten nun diesem seltsamen Dominikanermönch, der sich zusammengekrümmt an den Käfig der Angeklagten klammerte, während seine Hände langsam an den Stangen nach unten glitten.
»Es … tut mir leid«, keuchte Mercurio.
Giuditta starrte ihn voller Entsetzen an, als sie schließlich sah, was ihm solche Schmerzen bereitete. »Mein Schatz …«, stammelte sie leise und vor Furcht zitternd, und dann beobachtete der ganze Saal, wie sie die Hand nach seiner linken Seite ausstreckte.
»Es … tut mir leid …«, wiederholte Mercurio und ließ die Stangen los. Taumelnd wich er einen Schritt zurück.
An der Stelle seiner weißen Kutte, auf die Giuditta ihre Hand gelegt hatte, breitete sich für alle sichtbar ein großer roter Fleck aus.
Mercurio vollführte eine seltsame Drehung, bevor er in sich zusammensank und auf die Knie fiel.
Die Menge hielt den Atem an.
Giuditta schlug eine Hand vor den Mund, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Junge …«, sagte Zuan entsetzt.
»Mercurio …«, flüsterte Zolfo.
Giustiniani, der aus seiner Betäubung seines eigenen Schmerzes erwacht war, erhob sich langsam aus seinem Sessel.
Einen Augenblick schien die Zeit stillzustehen.
Diesen Moment nutzte der Heilige. Er sprang auf und richtete einen Finger der einen Hand anklagend auf Giuditta, die andere Hand streckte er hoch, damit alle das Stigma dort sehen konnten. »Hexe!«, donnerte er. »Tochter Satans!«
Die Menge sah ihn an. Dann richteten sich alle Blicke auf Giuditta.
Doch Giuditta hatte nur Augen für Mercurio und schüttelte verzweifelt den Kopf.
»Tochter Satans!«, schrie der Heilige erneut. »Du hast auch diesem braven Diener Gottes seine Seele geraubt, damit er dich rettet! Du hast auch ihn verhext!«
Die Menge erregte sich.
Giuditta blickte zu den Leuten hinüber. Als sie die Hand von ihrem Mund nahm, sahen alle Mercurios Blut auf ihren Lippen.
»Sogar sein Blut hat sie ihm genommen!«, brüllte der Heilige aus Leibeskräften.
Daraufhin war die Menge wie entfesselt. Die Leute vergaßen alles, was sie bis vor Kurzem noch geglaubt hatten, und schrien mit dem Heiligen: »Hexe! Hure Satans! Du wirst in der Hölle brennen! Auf den Scheiterhaufen mit dir! Auf den Scheiterhaufen!«
Mercurio wandte sich an Lanzafame, der wie seine Soldaten das Schwert gezückt und mit ihnen einen schützenden Ring um den Käfig gebildet hatte. »Hauptmann«, rief er ihn mit letzter Kraft.
Lanzafame wandte sich zu ihm um.
Mercurios Maske löste sich weiter auf. »Jetzt oder nie, Hauptmann«, flüsterte er.
»Aber du bist …«, sagte Lanzafame, der plötzlich erkannte, wen er vor sich hatte.
»Jetzt oder nie«, wiederholte Mercurio. »Bringt sie weg … Das Boot wartet auf Euch … Ihr wisst, wo …«
»Ja, das weiß ich«, erwiderte Lanzafame.
»Geht …«, keuchte Mercurio und bemühte sich krampfhaft, die Augen offen zu halten, die ihm immer wieder zufallen wollten.
»Mercurio!«, schrie Giuditta auf.
»Rettet sie …«, sagte Mercurio zu Lanzafame.
Der Hauptmann öffnete den Käfig. »Schutz für die Gefangene!«, befahl er seinen Männern, während die ersten Eiferer versuchten, die Reihen der Wachen des Dogen zu durchbrechen. »Komm, Giuditta, wir gehen«, sagte er und nahm sie am Arm.
»Was tut Ihr da?«, schrie der Patriarch und erhob sich hastig. Schon wollte er den Wachen befehlen, den Hauptmann aufzuhalten, als Giustiniani ihn entschlossen am Handgelenk packte.
»Was tut Ihr da, Patriarch?«, fragte er scharf. »Wollt Ihr, dass die Menge die Angeklagte in Stücke reißt?«
Der Patriarch starrte verblüfft auf Giustinianis Hand, die die seine unnachgiebig festhielt. »Was erlaubt Ihr Euch!«
»Setzt Euch!«, sagte Giustiniani so heftig, dass der Patriarch ihm ohne Widerspruch gehorchte. Dann wandte sich der Edelmann an Lanzafame. »Schnell! Schafft sie weg!«, rief er und richtete gebieterisch einen Finger auf den Kommandanten der Wachen des Dogen. »Und Ihr lasst niemanden durch!«
Lanzafame drückte Giuditta fester an sich. Dann sah er Mercurio an. »Junge …«
»Geht …«, flüsterte Mercurio kaum hörbar, immer noch auf Knien, während ihm sein Kopf kraftlos auf die Brust
Weitere Kostenlose Bücher