Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
herausfindet, dass er übers Ohr gehauen wurde.«
»Und nun?«
»Nun müssen wir so leben, als ob wir kein Geld hätten. Ganz einfach«, erwiderte Mercurio. Er sah Benedetta an. »Und was würden wir machen, wenn wir kein Geld hätten?«
»Oh nein!«, rief Benedetta aus.
»Oh doch.«
»Nein, nein, nein und nochmals nein.«
»Doch, doch, doch, kleine Schwester.«
»Wir haben die Taschen voller Geld und sollen trotzdem riskieren, dass wir beim Klauen erwischt werden?«
»Wir müssen dieses Geld zurücklegen, um damit unser Ziel zu verwirklichen.«
»Also, langsam gehst du mir aber auf die Nerven mit diesem Geschwätz über ein Ziel!«, knurrte Benedetta. »Wir haben kein Ziel!«
»Aber wir werden eins haben. Hoffentlich. Und außerdem geht auch noch so viel Geld irgendwann zur Neige. Und du musst zugeben, wir können nichts anderes als stehlen.«
»Oh nein«, sagte Benedetta erneut, doch ihr Widerstand fiel in sich zusammen.
»Oh doch.«
»Dann lass ich eben heute noch mal diese Fischhaut an«, sagte Benedetta betrübt und zeigte auf ihr stinkendes Kleid. »Lass uns etwas essen, und dann gehen wir schlafen. Ich bin todmüde, meine Füße sind geschwollen und meine Schuhe völlig verdreckt.«
»Ich mag es, wenn du so fröhlich bist«, sagte Mercurio amüsiert.
»Ach, scher dich doch zum Teufel.«
Sie betraten eine Schenke und bekamen dort wohlschmeckenden Fisch vorgesetzt. Nachdem sie sich ordentlich gestärkt hatten, machten sie sich auf den Rückweg zu ihrer Unterkunft.
Mercurio musterte unterwegs die vielen Menschen. Wie soll ich nur Giuditta unter all diesen Leuten hier finden?, kam es ihm plötzlich in den Sinn.
»Suchst du jemanden?«, fragte ihn Benedetta, als sie die Rote Laterne erreicht hatten.
»Was? Wer? Ich?«, fragte Mercurio und betrat die Spelunke.
Der alte Mann saß immer noch auf seinem Stuhl im Eingangsbereich. Er sah sie böse an und spuckte in seinen Napf.
»Ich glaube ja, das ist gar kein Stuhl«, raunte Mercurio Benedetta zu. »Das ist sein Hintern, der dort Wurzeln geschlagen hat.«
Benedetta lachte. »Also? Wen suchst du?«
»Niemanden.«
Nachdem Mercurio mit einer Kerze für etwas Licht gesorgt hatte, sah er sich aufmerksam in ihrem Zimmer um. Vorsichtig entfernte er ein Holzbrett aus der Seitenwand und grub mit einem Löffel, den er in der Schenke hatte mitgehen lassen, ein Loch in die Wand. Dorthinein steckte er den Beutel mit den Münzen und befestigte das Brett wieder an seinem Platz. »Sie suchen immer im Boden«, erklärte er Benedetta.
Sie sahen einander verlegen an.
»Also gut, gehen wir schlafen«, sagte Benedetta. »Worauf wartest du noch?«
»Auf welcher Seite willst du liegen?«
»Bleib mir bloß vom Leib«, ermahnte sie ihn, streckte sich auf der linken Seite des Lagers aus und zog die einzige Decke über sich. »Ich nehme die Decke. Du hast ja deinen Kaninchenpelz.«
Mercurio legte sich auf den rechten äußeren Rand des Lagers. »Soll ich das Licht löschen?«
»Nur zu.«
»Bist du sicher?«
»Nun mach schon!«
Mercurio blies die Kerze aus, und es wurde sofort stockfinster. Eine Weile lagen sie so in dieser unnatürlichen Stille nebeneinander.
»Schläfst du?«, fragte Mercurio schließlich leise.
»Nein. Was willst du?«, erwiderte Benedetta mürrisch.
»Ich wollte dir sagen, also damals, als die Räuber uns die Pferde abgenommen haben und all das …«
»Und?«
»Na ja … also, du warst ganz schön mutig.«
»Na gut, jetzt hast du es gesagt. Dann können wir ja nun schlafen.«
»Ja, genau. Gute Nacht.«
Benedetta antwortete nicht.
»Darf ich dich was fragen?«, fing Mercurio wieder an.
»Was willst du denn noch?«
»Denkst du manchmal an Ercole und den Mann, den ich getötet habe?«
Benedetta schwieg eine Weile. Dann fragte sie ihn, nicht mehr ganz so schroff: »Wie hieß eigentlich der Säufer, der dir das Leben gerettet hat und dann selber ertrunken ist?«
»Keine Ahnung …«
»Und denkst du manchmal an … Keine-Ahnung?«
»Andauernd«, antwortete Mercurio leise. Dann fügte er hinzu: »Und auch an diesen Kaufmann.«
»Ich denke auch an Ercole. Und an diesen Holzkopf Zolfo.« Benedetta klang nun freundlicher. »Und was meinst du?«
Mercurio antwortete nicht sofort. »Dass ich Angst habe …«, sagte er dann.
»Ach …«
»… und dann wird mir ganz kalt ums Herz.«
Die beiden lagen lange still da.
»Mercurio …«, flüsterte Benedetta schließlich.
»Hmm?«
»Wenn du willst, kannst du zu mir unter die Decke kommen«,
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