Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
sagte Benedetta und rutschte mit dem Rücken zu ihm etwas weiter in die Mitte des Lagers.
Mercurio blieb noch einen Moment liegen, dann rückte er unbeholfen näher.
»Versuch aber ja nicht, mich zu küssen«, warnte ihn Benedetta.
»Nein.«
Benedetta schnaubte, langte hinter sich, packte Mercurios Hand und legte sie auf ihre Hüfte. »Wenn du nicht ganz nah an mich rankommst, wird uns nie wärmer«, erklärte sie. »Aber fass mich ja nicht …«
»Nein.«
»… und das Ding zwischen deinen Beinen … also, sag dem, dass es brav sein soll.«
»Ja«, sagte Mercurio und wurde rot.
Es verging eine ganze Weile, dann sagte Benedetta: »Findest du es eklig, dass ich mit einem Priester und anderen Drecksäcken im Bett war?«
»Das Leben ist eben manchmal widerwärtig.« In Mercurios Stimme schwang Bitterkeit mit. Und Verlegenheit.
»Warum bist du immer so wütend?«
»Ich bin nicht immer wütend.«
»Na klar bist du das.«
Mercurio dachte nach. »Ich will nicht darüber reden.«
Wieder schwieg Benedetta eine Weile. »Oder stört es dich, dass ich keine Jungfrau mehr bin?«
»Wen schert es, ob du noch Jungfrau bist oder nicht?«
»Männer haben nur dann Respekt vor einer Frau, wenn sie noch Jungfrau ist, wusstest du das nicht?«
»Äh, ja … doch, sicher wusste ich das …«
Benedetta lachte leise. »Du hast noch nie bei einer Frau gelegen, stimmt’s?«
»Doch. Sogar schon ein paar Mal, wenn du es genau wissen willst.«
»Wirklich?«, fragte ihn Benedetta leicht spöttisch. »Und wie war es?«
»Also, na ja … sagen wir, da waren schon die Hände von beiden … irgendwie im Spiel, verstehst du?«, stotterte Mercurio verlegen.
»Was redest du denn da?«
»Na ja, also … Das war nichts Besonderes … Also, ich meine, es gibt Besseres …«
»Lügner«, lachte ihn Benedetta aus. »Gib’s zu, du hast es noch nie gemacht.«
»Ich bin müde, lass uns schlafen.«
Benedetta lächelte. »Ja, schlafen wir.« Dann schob sie ihre Hand in die von Mercurio.
Bei der Berührung verkrampfte sich Mercurio.
»Entspann dich, ich will mich bloß wärmen.«
Mercurio antwortete nicht und lag einfach mit geöffneten Augen da. Es stimmte. Er hatte noch nie bei einer Frau gelegen. Eigentlich wusste er rein gar nichts über die Liebe. Als er hörte, wie Benedettas Atem allmählich ruhiger und regelmäßiger wurde, überließ er sich langsam seiner Müdigkeit und schloss die Augen. Und sofort musste er an Giuditta denken. Er dachte daran, wie sie im Proviantkarren beim Einzug in Mestre Hand in Hand nebeneinandergestanden hatten. Wieder durchströmte ihn diese ganz besondere Wärme. Das musste Liebe sein. So wie zwischen Anna del Mercato und ihrem Mann. Und wenn dieser merkwürdige Aufruhr im Bauch Liebe war, na ja, dann war es gar nicht so schlecht. Er richtete all seine Gedanken auf Giuditta. Vielleicht konnte sie ja sein Ziel werden. Er stellte sich vor, wieder auf dem Karren neben ihr zu stehen.
Und bei dem Gedanken drückte er Benedettas Hand.
Benedetta erwiderte seinen Händedruck und kuschelte sich näher an ihn.
Mercurio spürte, wie er vor Verlegenheit errötete. »Entschuldige«, murmelte er.
»Was denn?«, fragte Benedetta.
»Ich dachte, du schläfst.«
»Nein«, erwiderte Benedetta mit sanfter Stimme. »Was soll ich denn entschuldigen?«
Mercurio löste seine Hand aus ihrer und drehte sich schnell zur anderen Seite. »Nichts, vergiss es …«, sagte er schroff. »Ich glaub, mir ist es jetzt doch zu warm.«
21
N achdem Shimon Baruch Rom den Rücken gekehrt hatte, hatte er auch die Via Flaminia verlassen. Er hatte sich Vorräte beschafft, sich in die Wälder um Rieti geschlagen und sich dort eine Woche lang verborgen. Dann war er wieder zur Via Flaminia zurückgekehrt und gen Norden aufgebrochen, wobei er noch unentschlossen war, ob er nach Mailand oder nach Venedig gehen sollte. Die gesamte Woche über, in der er sich versteckt hielt, hatte er über Scavamortos Antwort nachgegrübelt. Shimon war sich zunächst sicher, dass er ihn angelogen hatte. Aber Scavamorto war eindeutig ein gewitzter Bursche, der Mercurio offensichtlich mochte. Deshalb konnte es auch sein, dass er die Wahrheit gesagt hatte, weil er vermutet hatte, dass Shimon sie für eine Lüge halten würde. Schließlich gelangte Shimon zu der Überzeugung, dass es sich wohl genau so verhielt.
Die Via Flaminia führte durch den Apennin bis zur Adriaküste, und hinter Rimini, einer Hafenstadt, die früher Juden wohlgesonnen war, wurde sie zur
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