Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
über sie zu stülpen.
»Es tut mir leid. Entschuldige«, sagte Mercurio, als das Boot sich wieder in Bewegung setzte.
»Du wusstest, dass so etwas passieren würde, oder?«, fragte Benedetta grimmig.
Mercurio holte den Beutel mit den Goldmünzen hervor und ließ sie leise klingen. »Das war die einzige Möglichkeit, die hier zu retten.«
»Und warum bei mir und nicht bei dir?«
»Weil er dich so oder so abgetastet hätte. Und wenn er nichts gefunden hätte, wäre es noch schlimmer gekommen.«
»Du bist ein Dreckskerl«, knurrte Benedetta.
Mercurio schwieg, dann fragte er sie: »Hat er dir sehr wehgetan … da?«
»Du bist ein Dreckskerl«, wiederholte Benedetta, aber diesmal lag kein Groll mehr in ihrer Stimme. Und dann fügte sie hinzu: »Großer Bruder.«
20
H ast du ein Zimmer für mich und meine Schwester?«, fragte Mercurio, als er die Rote Laterne betrat, eine elende Spelunke in der Ruga Vecchia di San Giovanni, direkt am Fischmarkt hinter Rialto.
Der Wirt dieser Schenke saß auf einem halb durchgebrochenen Stuhl. Er war klein und eine jämmerliche Gestalt um die sechzig, hatte nur noch wenige Haare auf dem Kopf und kaum Zähne im Mund. Sein Gesicht wirkte höchst unsympathisch, zudem kratzte er sich beständig zwischen den Beinen. Den fressen die Filzläuse ja bei lebendigem Leib auf, dachte sich Mercurio.
Der Alte antwortete nicht. Stattdessen spuckte er blutig verfärbten Speichel in einen Napf neben seinem Stuhl. »Ihr zwei stinkt wie zwei verfaulte Salzheringe«, bemerkte er schließlich.
»Hast du Angst, dass wir deinen königlichen Palast verpesten?«, entgegnete ihm Mercurio. »Also, hast du nun ein Zimmer für uns oder nicht?«
»Und du, hast du denn Geld?«, fragte der Alte.
»Nein, warum?«, erwiderte Mercurio dreist. »Muss man etwa auch noch bezahlen, wenn man hier ein Zimmer nimmt?«
Benedetta lachte.
»Das macht einen Soldo die Woche, du Scherzbold«, sagte der Alte und spuckte wieder in den Napf.
»Ich hole dir die Flöhe aus der Matratze, und du willst dafür auch noch ein Geldstück pro Woche?«, fragte Mercurio herausfordernd.
»Es gibt Leute, die schlafen unter den Brücken. Einige überleben das sogar. Ihr zwei könnt ja auch dort euer Glück versuchen.«
»Ich gebe dir einen Soldo pro Monat«, sagte Mercurio.
Der Alte spuckte aus und schloss die Augen.
»Komm, wir suchen uns etwas Besseres als diese miese Kaschemme«, sagte Mercurio zu Benedetta. »Scarabello wird uns schon finden.«
Der Alte riss sofort die Augen auf. »Wer?«, fragte er nach.
»Hast du nicht gerade noch geschlafen?«, fragte Mercurio zurück.
»Scarabello? Das hättest du auch gleich sagen können, Junge. Also gut … einen Soldo für zwei Wochen, weil ihr Scarabellos Freunde seid.«
Mercurio steckte die Hände in die Taschen und starrte ihn schweigend an.
Der Alte rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her und kratzte sich wieder im Schritt. »Also gut, einen Soldo für drei Wochen. Aber sag Scarabello, dass ich dir einen wirklich guten Preis gemacht habe.«
»Das werde ich ihm bestimmt erzählen. Er hat mir versichert, dass man in dieser Bruchbude nur einen Soldo im Monat zahlt«, erwiderte Mercurio.
Benedetta versteckte sich hinter seinem Rücken, um ihr Lachen zu unterdrücken.
Der Alte überlegte kurz. »Also gut, verflucht noch mal! Du bist ein Halunke, Junge.«
»Vielen Dank für das Kompliment«, sagte Mercurio. Er beugte sich vor und spuckte in den Napf des Alten. »Das ist doch wohl im Preis mit eingeschlossen, oder?«
Brummelnd führte der Alte sie in ihr Zimmer, einen winzigen fensterlosen Raum, in dem kaum Platz für die Streulager war. In einer Ecke stand ein Nachttopf, den wohl schon Methusalem benutzt hatte.
»Hier drinnen kriegt man keine Luft«, stöhnte Mercurio. »Ich gehe noch ein bisschen raus.«
»Ich komme mit«, sagte Benedetta sofort.
Mercurio hatte noch nie eine so seltsame Stadt gesehen. »Hier gibt es viel zu viel Wasser«, bemerkte er schaudernd. Aber allmählich ließ er sich doch vom Zauber dieses einzigartigen Ortes gefangen nehmen, von den Gassen voller Menschen, dem regen Treiben der Läden, Märkte und Buden.
Als Erstes wollte er über die majestätische Rialtobrücke gehen. Sie bestand aus zwei Rampen aus Lärchenholz, deren Mittelteil sich durch eine außergewöhnliche Konstruktion hochziehen ließ, um größeren Galeeren Durchlass zu gewähren. Auf Befehl eines Brückenvorstehers bewegten die Arbeiter Seile und Stangen in einem Getriebe
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