Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
aus Scheiben und Rädern, und daraufhin tat sich die Brücke knirschend auf. Es wirkte wie ein Zaubertrick. Vor dem Hochziehen sicherten die Betreiber der Läden auf beiden Seiten der Brücke ihre Ware mit Seilen, aber bei einem dieser Manöver spielten ihnen ein paar Lausbuben einen Streich und lösten sie, sodass Ballen über Ballen wertvoller Stoffe über die Brücke rollten. Mercurio und Benedetta lachten gemeinsam mit den Kindern, als wären sie alle Freunde, während die Ladenbesitzer schimpfend ihre Waren einsammelten.
Aber am meisten beeindruckte Mercurio die Unmenge von Booten und Wasserfahrzeugen aller Art, die durch die Kanäle pflügten. So einen dichten Schiffsverkehr hatte er noch nie gesehen. Ein einziges Geschrei, Geschimpfe und Aufeinanderprallen von Holz gegen Holz. Es gab mehr Boote in Venedig als Karren in den Straßen Roms.
Gleich hinter der Brücke, auf der Uferseite, wo sich auch der Fischmarkt befand, und neben der Kirche San Giacomo wurde auf einem weitläufigen Gelände, das Fabbriche Vecchie genannt wurde, mit emsiger Geschäftigkeit gebaut. Ein Barbier, der mitten auf der Straße Zähne zog, erzählte Mercurio, dass im Jahr zuvor eine schreckliche Feuersbrunst dort sämtliche Gebäude zerstört hatte und man jetzt alles neu errichtete. Mercurio beobachtete eine ganze Weile die Steinhauer und die Zimmerleute, die ununterbrochen arbeiteten, und überlegte, welch großen Kraftaufwand es doch bedeuten musste, all die Steine und Ziegel mit Schiffen herbeizuschaffen. Die Arbeiter eilten mit ihren Schubkarren auf massiven Holzrädern hin und her und sangen dazu in ihrem seltsamen Dialekt.
Mercurio kam es so vor, als würde hier jeder etwas verkaufen. Es gab eine unvorstellbare Menge an Geschäften, Ständen und Wechselstuben. Die wohlhabenderen Läden hatten ausladende Simse aus hellem Sandstein und Vorhänge in leuchtend bunten Farben. In einem Durchgang gab es ein Banco Giro genanntes Geschäft, das den Kaufleuten ermöglichte, nicht länger Geld bei sich führen zu müssen: Ein Bankier trug sämtliche Transaktionen in sein Register ein und bürgte offiziell dafür, sodass Käufer und Verkäufer nicht mehr befürchten mussten, unterwegs ausgeraubt zu werden. Gleich um die Ecke lag die Calle della Sicurtà, wo man in einem zweigeschossigen Haus mit spitzen Fensterbögen und bunten Glasscheiben, das Mercurio an Zuckerbäckerkunst erinnerte, ganze Schiffsladungen von Stoffen, Gewürzen oder Waren jeder Art versichern konnte, ganz gleich, ob man sie versandte oder erwartete.
Durch sämtliche Gassen, die hier Calle hießen, und durch diese einzigartigen Durchgänge unter den Häusern, die sogenannten Sottoporteghi, wogte ständig eine Menschenmenge. Ein Heer von fliegenden Händlern mit einem ärmlichen Warensortiment auf dem Arm, Prostituierte und so viele Bettler, wie Mercurio sie in Rom nicht einmal während der Fastenzeit gesehen hatte. Und natürlich fielen ihm unter den Leuten auch die Betrüger und Diebe auf. Denn deren Methoden, so bemerkte er, waren überall dieselben. Ein falscher Arm aus Stoff, damit man mit dem echten heimlich eine Börse oder ein Taschentuch stehlen konnte. Vorgeblich Blinde, die in jemanden hineinstolperten und sich dann umständlich entschuldigten, wobei sie ihr Opfer heimlich durchsuchten. Diebe der etwas schlichteren Art, die einfach Waren zusammenrafften und dann davonrannten in der Zuversicht, dass sie schneller als ihre Verfolger waren.
»Wir haben reichlich Konkurrenz«, sagte Mercurio zu Benedetta.
Rialto war das pulsierende Handelszentrum der Stadt und mit Sicherheit der beste Ort für einen Betrüger wie ihn, dachte er. Das würde sein bevorzugtes Viertel werden. Hier konnte er sich austoben.
»Ich will ein neues Kleid«, sagte Benedetta gegen Abend. »Das hier stinkt zu sehr. Ich habe einen Laden mit wunderschönen Sachen gesehen.«
»Hast du schon einen Plan?«, fragte sie Mercurio.
»Was für einen Plan?«
»Wie wir an diese Kleider kommen?«
»Na, wir bezahlen sie«, erwiderte Benedetta erstaunt. »Wir haben doch genug Geld.«
Mercurio schüttelte den Kopf. »Na großartig. Du bist wirklich schlau, weißt du das?« Er hatte im Verlauf des Tages beobachtet, dass die Leute, jedes Mal wenn er Scarabellos Namen erwähnte, zusammenzuckten. Alle kannten und fürchteten ihn. »Und wenn uns einer von Scarabellos Leuten verfolgt oder uns zufällig dabei beobachtet, wie wir etwas kaufen, und ihm davon berichtet? Der Kerl lacht bestimmt nicht, wenn er
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