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Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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Via Emilia, die in Venedig endete. Alles innerhalb der Grenzen des Kirchenstaats. Und Shimon, der »sein« Taufzeugnis stets an sich presste, war sich sicher, selbst wenn sie nach ihm suchten, kämen sie wohl nie auf den Gedanken, dass er sich so lange in päpstlichem Gebiet aufhalten würde.
    Als er gegen Abend auf Narni zu marschierte, hatte Shimon einen Gefängniswagen eingeholt, der von vier Belgischen Kaltblütern mit riesigen, muskulösen Kruppen gezogenen wurde, die gemächlich ihres Weges trabten. Der Wagen war schwarz und hatte zwei schmale, mit kreuzförmig angeordneten Eisenstangen verstärkte Fenster. Als die Straße sich an einer Stelle verengte, zügelte Shimon seinen Araber und fuhr langsam hinter dem Wagen her, in der Hoffnung, dass sich der Weg bald wieder verbreitern würde und er ihn überholen konnte.
    Zwei berittene Wachen, die den Gefängniswagen eskortierten, erblickten ihn und kamen sofort auf ihn zu. »Wohin willst du? Wer bist du?«, fragten sie ihn.
    Shimon griff in seine Tasche und hielt ihnen den Taufschein entgegen. Zum ersten Mal seit seiner Flucht musste er sich ausweisen.
    »Alessandro Rubirosa«, las eine der Wachen. »Bist du Spanier?«
    Shimon schüttelte den Kopf und zeigte auf seine Kehle, um zu bedeuten, dass er stumm war.
    »Du bist stumm?«, wiederholte der Wachmann mit Worten und sprach dabei besonders laut, als wäre sein Gegenüber auch taub.
    Shimon nickte.
    »Und wo willst du hin?«, fragte der andere Wärter.
    Shimon wusste nicht, wie er es erklären sollte. Er versuchte, eine Gondel in die Luft zu zeichnen.
    »Türkenpantoffeln? Oder was soll das heißen?«, fragte einer der Männer.
    »Türkendolch«, verbesserte ihn der andere Wärter und wies auf den Dolch, den Shimon im Gürtel trug.
    Shimon schüttelte resigniert den Kopf.
    »Na ja, ist auch egal«, sagte der erste Wärter.
    Shimon zeigte, dass er irgendwo schlafen und essen wollte.
    »In Narni gibt es viele Wirtshäuser …«, erwiderte der erste Wärter.
    »Aber vielleicht verirrt er sich da. Es ist beinahe dunkel«, wandte der zweite ein. »Du kannst mit uns in das Wirtshaus des Generals kommen. Dort ist es billig und sauber. Und man isst gut.«
    Shimon zögerte. Eine innere Stimme warnte ihn, den Wachen nicht zu trauen. Aber dann dachte er, dass aus ihm nur der ängstliche Kaufmann sprach, der er früher einmal gewesen war. Und deshalb war es wohl vor allem sein tiefer Ärger über diesen Gedanken, der ihn dazu trieb, den beiden Wachen zuzunicken.
    Nach einigen Meilen bogen sie in einen schmalen Weg ein und erreichten eine grasbestandene Lichtung vor einem zweistöckigen, ziegelrot gestrichenen Gebäude, an dem die Mehrzahl der Fensterläden geschlossen war.
    Der Gefängniswagen hielt in der Mitte der Lichtung. Inzwischen nieselte es, und es war kalt geworden. Die Wärter öffneten die große Tür des Wagens, um ihre drei Gefährten herauszulassen. Shimon, der inzwischen seine Kalesche verlassen hatte, überfiel der Gestank von menschlichen Ausdünstungen. Als er in den Wagen hineinspähte, sah er fünf mit dicken Eisenringen an Händen und Füßen angekettete Männer, die einander gegenüber auf zwei Bänken saßen. Einer der Gefangenen hielt sich stöhnend den Unterleib.
    »General!«, schrie einer der Wärter.
    Plötzlich erwachte alles zum Leben. Der Gefangenentransport musste für die Poststation ein lohnendes Geschäft sein. Zwei Knechte kamen mit randvoll gefüllten Wasserbottichen. Kaum hatten die Wärter die Gefangenen aussteigen lassen, schütteten die Knechte das Wasser in das Wageninnere, um den Boden von den Exkrementen zu reinigen. Die Gefangenen wurden in einen Heuschober gebracht. Shimon sah, dass er wie ein kleines Gefängnis ausgestattet war. Dort wurden die Männer einzeln an einen waagrechten Balken gekettet, der von einer Wand zur anderen verlief. Ihre Arme hatten gerade so viel Spiel, dass sie ungehindert damit essen konnten. Zwei alte Frauen brachten einen Kupferkessel und Tonschüsseln und verteilten eine wässrige Suppe an die Gefangenen.
    »Der hat bestimmt keinen Hunger«, sagte einer der Gefangenen und zeigte auf den Mann, der sich jammernd die Hände auf den Unterleib presste.
    Einer der Wärter lachte unanständig laut. Dann wandte er sich dem Wirtshaus zu und schrie: »General! Hier ist ein Gast für dich!«
    Daraufhin kamen ein alter, aber noch kräftig wirkender Mann mit kurzen schneeweißen Haaren und ein junges Mädchen, das dem Alter nach seine Enkelin hätte sein können,

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