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Das Mädchen, das nicht weinen durfte

Titel: Das Mädchen, das nicht weinen durfte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khadra Sufi
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von der Schule nach Hause. Außer Mama, meiner Tante und meiner Oma war niemand daheim. Ich ging in den Hof und die Mittagssonne knallte mir gnadenlos ins Gesicht. Wir hatten hier an unserem neuen Haus einen Brunnen, aus dem wir Wasser ins Haus pumpen konnten, was in Somalia ein Luxus war. Normalerweise holten die Frauen das Wasser in Krügen, die sie auf ihren Köpfen balancierten, vom Brunnen. An diesem Nachmittag, als ich die Hitze kaum mehr ertragen konnte, ging ich in den Garten, nahm den grünen Schlauch, steckte ihn über den Hahn und spritzte mit dem Wasser herum. Der Schlauch war sehr lang, sodass ich mich auf einen kleinen braunen Plastikhocker vorm Einfahrtstor setzen und mit dem
Schlauch meine Füße kühlen konnte. So saß ich da gedankenverloren und beobachtete, wie der heiße Sand das Wasser aufsaugte. Plötzlich sah ich einen langen Schatten. Ich blickte auf und vor mir stand eine Frau, die einen Krug auf dem Kopf trug.
    »Kind, du hast ja Wasser. Schütte mir doch hier etwas rein, mein Kind. Ich wollte gerade die lange Strecke zum Brunnen laufen.« Sie hielt mir ihr Gefäß hin und schweigend hielt ich den Schlauch hinein. Als der Krug voll war, nahm sie ihn mit einem Ruck hoch und stellte ihn auf ihren Kopf.
    »Allah segne dich, mein Kind, du bist ein gutes Mädchen.« Dann drehte sie sich um und ging langsam fort. Ich blickte ihr noch lange nach, denn in diesem Moment wurde mir bewusst, wie verschwenderisch ich mit dem Wasser umgegangen war, und dieses Erlebnis hat mich so geprägt, dass ich noch heute sparsam mit Wasser umgehe, obwohl es in Deutschland Wasser im Überfluss gibt.
    Gerade als ich zurück zum Hahn gehen wollte, um ihn abzudrehen, sah ich sie kommen: Wie eine Karawane kamen sie die Straße hoch auf mich zu, Kinder, Frauen und Männer mit Krügen, Eimern und allen möglichen anderen Gefäßen. Die Frau, deren Krug ich bereits gefüllt hatte, lief vorneweg. Ich erschrak zunächst und wusste gar nicht, was ich tun sollte, aber noch bevor ich mich versah, stellten sie sich hintereinander an und hielten mir ihre Gefäße hin. Jeder Einzelne von ihnen tätschelte mir dankbar den Kopf und sprach ein kleines Gebet für mich. Und als alle Krüge mit Wasser gefüllt waren, war ich glücklich, denn ich hatte das Gefühl, etwas Gutes getan zu haben.

4.
    DIE ANGST, DIE UNS VERBORGEN BLEIBT
    Eines Abends war ich im Schlafzimmer meiner Eltern und saß auf dem weichen Teppich am Ende des Bettes. Mein Kopf war an den Bettrand gelehnt und ich las im Koran, den mein Vater mir in deutscher Übersetzung besorgt hatte. Plötzlich hörte ich es krachen und böllern.
    »Was ist das, Papa?«
    »Ach, das ist nichts, die feiern nur so etwas wie Silvester.« Es fiel mir auf, dass er nicht so gelassen war, wie er zu sein versuchte, aber ich dachte mir nichts weiter dabei und grinste in mich hinein. Ich erinnerte mich, wie mein Bruder Farid in Berlin die Silvesterböller in die Mülltonne gesteckt hatte und lachend weggelaufen war, bevor sie explodierten und der Deckel der Tonne hochflog. Dass da draußen kein Jahreswechsel, sondern die ganze Nacht lang ein blutiges Gefecht stattfand, verschwieg mir mein Vater.
    Aber am nächsten Tag war es nicht mehr zu verbergen: Der Krieg zeigte sein Gesicht im Leid der Unschuldigen. Vor unserem Tor zogen die Menschen vorbei, die ihre Habseligkeiten in Säcke und Tücher verpackt um den Körper trugen und flohen. Auch wir mussten schleunigst aus unserem Haus verschwinden, um uns in Sicherheit zu bringen, hier wurde es einfach zu gefährlich.
    Am Morgen fuhr mein Vater mit mir noch mal in sein Büro. Alles war verlassen. An der Tanksäule hielten wir an, Papa schaute
sich um, so als wolle er sichergehen, dass außer uns wirklich niemand da war. Dann nahm er den Tankschlauch, der auf dem Boden lag, und versuchte daran zu saugen, so wie er es früher beim Tankwart gesehen hatte, aber er saugte offenbar nicht kräftig genug. Er verzog angewidert das Gesicht und begann zu würgen.
    »Gib mal, Papa, ich mach das«, sagte ich selbstbewusst und sprang aus dem Auto. Ich nahm ihm den Schlauch aus der Hand und saugte ein paar Mal ganz kräftig daran. Der Gestank des Benzins zog in meine Nase und endlich stieg es langsam im Schlauch hoch. Kurz bevor es mir in den Mund lief, hielt ich den Schlauch schnell in die Tanköffnung, den Geschmack spuckte ich auf den Boden. Papa schaute mir dabei wortlos zu, aber er schien glücklich darüber zu sein, dass wir wieder einen vollen Tank hatten.
    Wir

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