Das Mädchen, das nicht weinen durfte
raste so sehr, dass es schmerzte. Keinen Mucks konnte ich von mir geben. Ich hielt die Luft an, vielleicht würde es dann besser werden, wurde es aber nicht. Jassar richtete sich etwas auf und rutschte langsam nach unten. Seine Hand steckte immer noch zwischen meinen Beinen. Dann zog er mir meine Pyjamahose aus, danach meine Unterhose. Ich starrte nur an die Decke, unfähig, etwas zu sagen oder zu tun. Er würde schon aufhören, gleich würde es aufhören! Aber es hörte nicht auf. Ich schloss die Augen.
Im Morgengrauen wachte ich auf. Ich lag immer noch wie erstarrt auf meinem Bett, keinen Millimeter hatte ich mich bewegt, und eine kalte Nässe kroch mir von den Beinen den Rücken hoch. Ich hatte wohl eingenässt. Dann sah ich ihn. Jassar stand neben dem Bett, er hatte seine moosgrüne Baumwollhose und sein hellblaues Jeanshemd an. Ich wusste, dass etwas passiert war, ich wusste aber nicht, was das war. Oder hatte ich das alles vielleicht nur geträumt?
»Du hast ins Bett gemacht.« Jassar sprach ganz leise, beruhigend, wie schon so oft, wenn er mich getröstet hatte. »Ja.« Mehr brachte ich nicht heraus. Ich schämte mich so sehr und traute mich nicht, aus dem Bett zu kriechen, weil ich nackt war. Ich presste meine Schenkel zusammen und legte meine Hände zwischen meine Beine, um mich zu bedecken.
»Soll ich dir eine frische Unterhose holen?« Ich nickte nur und deutete langsam auf eine Schublade in meinem Schrank. Ich lag entblößt in meinem nassen Bett. Ich streckte meine Hand aus und
nahm die lila Unterhose, es war eine von denen, die mir Isabell aus Deutschland zu meinem zehnten Geburtstag geschickt hatte. Jassar ging zur Tür und drehte sich nochmals um.
»Ich gehe mal raus, dann kannst du dich in Ruhe umziehen.« Es war sehr früh und alle anderen schliefen noch. Auch ich blieb zunächst eine Weile liegen, weil ich wie gelähmt war, aber dann stand ich irgendwann auf und machte mein Bett, denn ich wollte nicht, dass jemand sah, dass ich ins Laken gemacht hatte.
Was an diesem Morgen sonst noch passierte, daran kann ich mich nicht genau erinnern. Vielleicht war es ein Morgen wie jeder andere auch. Mein Vater trank zunächst immer einen Tee im Bett, während im Erdgeschoss das tägliche Chaos ausbrach. Alle gerieten gleichzeitig in Bewegung: vier Kinder, Ayeya, Tante Tita, meine Mutter und dann natürlich noch die Hausangestellten, die allen ihre Wünsche erfüllen mussten. Ich weiß noch, dass Jassar den ganzen Vormittag im Haus herumlief und sich wie immer verhielt. Ich fühlte mich in seiner Nähe unwohl, versuchte mir aber einzureden, dass nichts passiert war, und anscheinend gelang es mir gut, alles zu verdrängen, denn keiner merkte etwas.
Irgendwann wollte ich allein sein und zog mich ins leere Wohnzimmer zurück. Ich nahm mein Englisch-Schulbuch und legte mich auf die kleine Couch, die als einziges Möbelstück im Raum stand. Ich schlug das Buch in der Mitte auf und starrte einfach nur hinein. Meine Gedanken standen still.
»Ach, hier bist du …«, schreckte mich Jassars Stimme auf. Sie hatte immer so vertraut geklungen, gut gelaunt, aber diesmal nicht. Er setzte sich zu mir auf die Couch, ich richtete mich schnell auf und rückte dabei ein Stück weg von ihm. Dann starrte ich wieder in mein Buch, an das ich mich klammerte, und hoffte, er würde merken, dass ich nicht gestört werden wollte.
»Das Buch muss ja ziemlich spannend sein, so wie du dich darauf konzentrierst.«
Ich schwieg.
»Warum antwortest du mir nicht?« Jetzt war sein Ton ernster. Ich wusste nicht mal, warum ich ihm nicht antwortete, ich wusste überhaupt nichts mehr und wollte einfach nur allein sein.
»Bist du sauer auf mich?« Ich zuckte nur mit den Schultern. »Du bist sauer auf mich, nicht wahr? Ist es wegen gestern Abend? Sieh mich mal an.« Mit der rechten Hand nahm er mein Kinn und drehte meinen Kopf zu sich, aber ich starrte nur auf den Boden.
»Ist es wegen gestern Abend?« Ich nickte. Ich war so nah an seinem Gesicht, dass ich jedes einzelne schwarze Härchen aus seinem Oberlippenbart überdeutlich sah. Mir wurde übel und ich drehte mich langsam wieder zu meinem Buch.
»Hör zu«, sagte er mit sanfter, aber eindringlicher Stimme, nahm mir vorsichtig das Buch aus der Hand und schaute mir in die Augen. »Ich bin der beste Freund deines Bruders. So etwas würde ich niemals tun.« Er schüttelte dabei leicht seinen Kopf. »Niemals. Okay?«
»Okay.«
Ein Tag, an dem ich helfen konnte
Eines Nachmittags kam ich
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