Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman
Als er unwillkürlich auf den leeren Platz starrt, erklärt ihm die Hausherrin, Mendy müsse etwas Wichtiges für die Familie erledigen. Mütterlich fügt sie hinzu, für Mendy sei es jetzt an der Zeit, Männer kennenzulernen, die Macht und Einfluss besitzen. Mit dem Studium sei sie jetzt fertig, nun müsse sie einen passenden Mann finden, um eine Familie zu gründen …
Es ist, als hätte Yeye eine Gräte in Tubais Hals gerammt. Auf einmal kriegt er keinen Bissen mehr herunter. Er ringt nach Luft, und feine Schweißperlen treten ihm auf die Stirn. Jetzt versteht er, warum seine Herrin so strahlt, als ob sie im Lotto gewonnen hätte. Diese Stiefmutterwölfin ist gerade dabei, Mendy an einen reichen Mann zu verkuppeln, und freut sich auf ihren Lohn!
Beim Einsatz ihrer Stäbchen blickt Yeye in seine Richtung und erschrickt, als sie sein finsteres Gesicht sieht. »Bist du krank?«, fragt sie.
Tubai knurrt, er habe genug gegessen, steht auf, begibt sich in die Küche und fängt an, dort aufzuräumen. Da er schon immer sparsam mit Worten war, wundert sich Yeye nicht weiter.
Nach dem Abendessen kümmert sich Tubai um Michael. Dessen Zustand hat sich zwar normalisiert, aber er spricht noch weniger mit der Mutter als früher, und nur wenn er mit Tubai spielt, kehrt das kindliche Lachen zurück.
Nachdem er den Jungen ins Bett gebracht hat, huscht Tubai durchs Wohnzimmer, wo Yeye auf dem Sofa sitzt und in den Fernseher starrt, dann schließt er sich in der Küche ein. Hier ist sein Rückzugsgebiet. Nach der Arbeit sitzt er am Fenster und schnitzt an einem Stück Holz.
Yeye ruft nach ihm, es laufe ein lustiger Film, aber Tubai erwidert, er verstehe sowieso kein Wort Deutsch, und bleibt in der Küche sitzen. Irgendwann ist der Film zu Ende, und Yeye zieht sich in das leere Eheschlafzimmer zurück. Zuvor hat sie Tubai befohlen, er solle jetzt mit der Schnitzerei aufhören. Sie könne dabei nicht schlafen.
Tubai wartet eine Weile, und erst als von Yeye nichts mehr zu hören ist, schleicht er sich ins Wohnzimmer. Es ist kurz vor Mitternacht. Wenn er schlafen gehen will, muss er nur das Sofa ausziehen und es in ein Bett verwandeln. Doch er denkt nicht an Schlaf. Yeyes Worte sitzen ihm wie ein brennender Stachel im Magen.
Er bleibt am Fenster stehen, um sich zu konzentrieren, dann beginnt er mit einer Atemübung. Wie einBaum im Gewitter schwingt er seine Glieder, als wären sie Weidenruten im Sturm. Wie früher in der Strahlenden Perle lässt er alle Möbel an ihrem Platz. Da er seine Übung stets ohne künstliches Licht macht, muss er mit all seinen Sinnen dabei sein, um nicht gegen Tische und Stühle zu stoßen. Lautlos wie ein Tiger im nächtlichen Wald bewegt er sich hin und her. Wäre jemand im Raum, würde er nur einen huschenden Schatten sehen und leise Windgeräusche hören, wenn der Kämpfer seine gestreckten Arme, Beine und Hände messerscharf durch die Dunkelheit fliegen lässt.
Kapitel 13
»Lass mich allein durch die Hölle gehen«
Am nächsten Morgen wacht Yeye früh auf und schaut gleich nach ihrem Handy, das auf dem Nachttisch liegt. Keine neue Nachricht ist eingegangen. Sie überlegt, was das zu bedeuten hat. Dann wählt sie die Nummer von Mendys Wohnung. Einmal, noch einmal, immer wieder. Keiner geht ans Telefon. Die Stieftochter ist also noch nicht zu Hause. Yeye grinst. Vielleicht wird sie ihren Mann schon heute Abend wieder bei sich haben. Sie räkelt sich ausgiebig, bevor sie ins Bad trippelt.
Als sie ins Wohnzimmer schaukelt, ist Tubai gerade erst aufgestanden. Er ist es eigentlich gewohnt, lange vor seiner Arbeitgeberin aufzustehen. Heute aber schafft er es gerade noch, sein Couchbett zurückzubauen, als Yeye auch schon vor dem großen Spiegel steht und ihr Haar bürstet.
Es ist Samstag, und Yeye kommt auf eine Idee. Gnädig sagt sie zu Tubai, er habe jetzt tagelang hart gearbeitet, er könne sich ruhig ein paar Stunden freinehmen und brauche erst am Abend wiederzukommen. Vielleicht wolle er ja ein bisschen schlafen. Wenn Mendy nach Hause komme, solle er sie aber sofort informieren.
Die Erinnerung daran, dass Mendy womöglich bei einem fremden Mann übernachtet hat, gibt ihm einenStich. Eilig verlässt er die Wohnung und stürzt in den grauen Morgen hinaus.
Es ist ein kühler Apriltag. Die Wolken hängen tief, und Regenschauer stehen auf Abruf bereit. Tubai seufzt, ein Tränenvorhang des Himmels wäre ihm jetzt ganz recht. Den ganzen Weg stöhnt er, als bekäme er nicht genug Luft. Mendy gehört
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