Das Maedchen mit dem Stahlkorsett
verloren.
Trotzdem … wenn sie erst einmal mitten in diesen Irrsinn gestürzt war, kam es ihr überhaupt nicht mehr verrückt vor, sondern vollkommen richtig – als sei dieser schreckliche Teil in ihr so selbstverständlich wie das Atmen. Das konnte doch nichts Natürliches sein. Es war etwas Dunkles, Falsches. Etwas Böses.
Gab es etwas, das sie retten konnte? Irgendetwas, abgesehen vom Tod, das eine Wiederholung verhindern konnte? Felix hat te die Tracht Prügel redlich verdient, doch der junge Mann mit den hübschen blaugrauen Augen und dem dichten rotbraunen Haarschopf – der hatte nicht verdient, was sie ihm beinahe angetan hätte, als sie über den Riesen hinweggehüpft war.
Eigentlich hatte sie ihm nicht einmal wehtun wollen. Irgendetwas hatte sie zu ihm hingezogen, und als sie in diese verblüffenden Augen geblickt hatte, wäre sie keinesfalls mehr imstande gewesen, ihm irgendetwas anzutun. Sie hatte sich sogar gefragt, wie es wohl wäre, ihn zu küssen.
Es musste irgendeine Art Hexerei sein, etwas anderes kam nicht infrage. Er hatte ihr den ganzen Kampfgeist genommen, ohne auch nur einen Finger zu rühren. Ein Blick, und sie war so von Frieden und Müdigkeit erfüllt gewesen, dass sie nur noch unter die Decken hatte kriechen und schlafen wollen – was sie dann auch getan hatte.
Ob er oder die anderen im Schlaf irgendetwas mit ihr angestellt hatten? Sie war nicht sicher, denn von dem Gerangel mit Lord Felix taten ihr noch alle Knochen weh. Im Grunde mochte sie nicht glauben, dass der hübsche Gentleman zu Schandtaten imstande war. Andererseits hatte sie die bittere Erfahrung gemacht, dass die nettesten Herren oft die übelsten Halunken waren.
Was jetzt? Sie konnte nicht ewig hierbleiben und wusste nicht einmal, ob sie diesen Leuten überhaupt trauen konnte. Offensichtlich wollten die anderen sie auch nicht hier behalten. Wenn man sie nun der Polizei auslieferte? Schlimmer noch – wenn der reiche Knabe ein Freund von Lord Felix war?
Als es an der Tür klopfte, zuckte sie zusammen. Dann drehte jemand den Knauf, und die Tür ging auf, bevor sie »Herein« rufen konnte.
Es war das rothaarige Mädchen. Sie hatte sich das widerspenstige Haar unordentlich hinter dem Kopf zusammengebunden, einige dicke Strähnen baumelten vor dem hübschen Gesicht. Sie trug Hosen, die sie in hohe schwarze Stiefel gesteckt hatte, ein weißes Hemd und eine enge Lederweste. Junge Frauen, die sich für unabhängig hielten, kleideten sich gern wie Männer, doch Finley brachte es nicht über sich. Der orientalische Stil, der aus China herübergekommen war, gefiel ihr erheblich besser, aber auch dazu konnte sie sich nicht überwinden.
Das Mädchen blickte sie mit großen grünen Augen aufmerksam an, als es das Zimmer betrat. Finley tastete ihre Stirn ab. Die Haut war weich und glatt, weder Schwellung noch Schorf, wo am vergangenen Abend noch eine offene Wunde gewesen war. Auch die Wange und die Lippen fühlten sich besser an. Andererseits waren bei ihr Verletzungen schon immer schnell verheilt.
»Du … du hast mich in Ordnung gebracht.« Es gelang ihr kaum, die Ehrfurcht aus ihrer Stimme zu verbannen.
Erstaunt tauchte die junge Frau ein Tuch in die Waschschale, die neben der Kommode auf einem Ständer ruhte. Natür lich, sie hatte damit gerechnet, dass Finley so ausfallend reagieren würde wie am vergangenen Abend. »Ja, das stimmt. Ich bin froh, dass du die Wunde diesmal in Ruhe gelassen hast.«
Finley lächelte und hoffte, eher freundlich als irre zu wirken. Das Mädchen stellte keine Bedrohung dar, also blieb ihre dunkle Seite friedlich. »Danke.«
»Ich hab dir das Frühstück mitgebracht.« Sie deutete zur Tür, wo ein großer junger Mann mit langem, schwarzem Haar und kantigen Gesichtszügen stand, ein Tablett in Händen. Oje. War das nicht der Kerl, über den sie hinweggehüpft war? Ihre dunkle Seite hob das Haupt, machte aber kein Theater. »Wenn du nichts dagegen hast, würde ich dich gern untersuchen.«
So jung und schon Ärztin? Das war natürlich unmöglich, aber es war trotzdem nicht ausgeschlossen, dass das Mädchen einiges von Medizin verstand. Immerhin hatte es Finleys Verletzungen geheilt. »Natürlich. Danke für das Frühstück.«
»Ich säubere dich, und während du isst, können wir reden.«
Finleys Lächeln verbreiterte sich. Sie konzentrierte sich auf das Mädchen und behielt seinen Begleiter unauffällig im Auge. »Das wäre schön.« Irgendwie fühlte sie sich der kleinen Irin
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