Das Mädchen mit den Teufelsaugen
recht, wie sie hat. Jetzt zieht er sie am Strick das Holz hinauf, schneidet die Fesseln und bindet sie neu am Pfahl. Wer jetzt noch Eier hat, der wirft. Sie treffen auf die Brust, ins Gesicht, auf den Leib. Aber die Zigeunerin flucht nicht, fleht nicht, weint und schreit nicht. Still steht sie wie Lots Frau. Als hätte sie’s verdient.»
Rosa nickte und nässte den Boden vor ihren Füßen mit Tränen.
«Jetzt kommt der Stöcker mit den Fackeln, gießt Öl aufs Holz. Wie das zischt! Wie die Flammen zum Himmel schießen! Schon lodert’s. Riechst du den Rauch? Hörst du das Prasseln? Die Karmeliterinnen singen ‹Lobet den Herrn!›, und das Weib mit dem aufgetriebenem Bauch lacht sich die Seele aus dem Leib.»
Rosamund faltete die Hände, die Lippen bewegten sich zum Vaterunser.
«Jetzt brennt ihr der Kittel», erklärte das Kräuterweib. «Um ihr schönes Zigeunerhaars ist’s schad. Daraus ein kleines Kissen gemacht und bei Gliederschmerz aufgelegt, das wirkt Wunder.»
«Und die Tonia?», flüsterte Rosamund.
«Die hat’s schon hinter sich, mein gutes Kind. Ich habe gesehen, wie der Henker sie erwürgt hat, als niemand vor lauter Rauch mehr was gesehen hat. Er ist ein feiner Mensch, der Henker.»
«Ist sie schon in der Hölle?»
«Ach, Kind, ich weiß es nicht. Unsereins ist so arm, ist’s immer gewesen. Sie da und ich. Du nicht, Kind, ich seh’s an deinem Kleid, ist ein guter Stoff, schön warm und weich. Aber wenn wir Armen in den Himmel kämen, müssten wir donnern helfen. Was dem einen der Himmel, ist dem anderen die Hölle. Schau, mein Mann, Gott hab ihn selig, der aß für sein Leben gern Rinderleber. Gedacht hat er, im Himmel gäb’s die jeden Tag, aber was für ihn das Paradies wäre, wäre für die Rinder die Hölle.
Doch schau, was ist denn das? So etwas hat’s noch nie gegeben.»
«Was seht Ihr? Sagt es schon.»
«Ich sehe weiße Tauben. Sie steigen hinterm Scheiterhaufen auf. Unschuldige weiße Tauben, als wollt der Herrgott selbst anzeigen, das wir hier Falsches tun. Er hat die weißen Tauben vom Himmel geschickt, um der Zigeunerin reine Seele zu holen. Na, in des Richters Haut möcht ich jetzt nicht stecken. Er auch nicht, wie man sieht, zappelt herum, als wäre sie ihm ganz plötzlich zu eng, die eigene Haut. Ganz still steht die Menge, ganz starr. Mit offenem Maul schaut die Frau mit dem aufgetriebenen Leib den Vögeln nach. Die anderen bekreuzigen sich wie wild, dass es aussieht, als wollten sie Mücken vertreiben. Da schlägt so manch einem das Gewissen. Bis hierher kann ich’s klopfen hören. Der Richter reibt sich die Asche vom Wams und geht rasch vom Platze, und nun stiebt auch die Menge auseinander. Sie rennen und wollen nichts gesehen und gehört haben. Und sagen werden sie auchnichts mehr darüber. Nur ein einziges Raunen hinter vorgehaltner Hand wird zu hören sein.»
Rosamund wischte mit den Fäusten die Augen trocken und lächelte.
«Sag, Kind, hat die Mutter dir verboten, das Schauspiel anzusehen? Recht hat sie gehabt, die gute Mutter. Ein solcher Anblick ist nichts für ein Kind. Aber nun geh, sie wird schon nach dir suchen.»
Rosamund nickte, sagte «Vergelt’s Gott» und drängelte sich nach vorn zum Scheiterhaufen. Hinter dem Holz fand sie den Vater. Sie zupfte ihm eine weiße Taubenfeder aus dem Haar, nahm seine Hand und führte ihn nach Hause.
Sechstes Kapitel
Die Sonne ging auf und unter, verlässlich, unermüdlich.
Die Mutter hatte Ursula bekommen, das Urselchen, und Rosamund die kleine Kammer, oben unterm Dach, wo die Dienstboten schliefen.
Die Knospen brachen auf, die Sonne brannte, die Blätter fielen, und Weihnachtsgänse bluteten, bevor wieder die Knospen aufbrachen.
Frankfurt war dem Schmalkaldischen Bund beigetreten und der Vater dem Zunftrat der Weißbinder.
Der Theologe Martin Butzer predigte in der Bartholomäuskirche über das kananäische Weib, und des Weißbinders Weib verweigerte das Bett.
In Frankfurt waren Söldnermannschaften für einen neuen Türkenfeldzug ausgerüstet worden, und Ruppert Hoffmann rüstete sich für eine weitere Schlacht im Ehekrieg.
Die erste Wasserleitung wurde in der Stadt gelegt, und Lisbeth legte mit Ursula den Grundstein für ein vornehmes Leben.
Im Jahre 1547 waren Rosamund 17 und Ursula 12 Jahre alt, und das Kirchenbuch der Stadt Frankfurt verzeichnete für dieses Jahr 2617 Gestorbene und nur 368 Getaufte. Den Schmalkaldischen Bund gab es nicht mehr.
Die Werkstatt war größer geworden, dem Vater
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