Das Mädchen mit den Teufelsaugen
wird alles vorbei sein.»
Rosamund fühlte auf einmal Nässe auf ihren Wangen. Sie blickte ihren Vater an. «Warum weinst du?»
«Es ist nichts, mein Liebchen. Gar nichts.»
Und Tonia streckte die Hand durch das Eisengitter und flüsterte: «Sorge dich nicht, Schönchen, alles wird gut.»
«Dann kommst du bald wieder zu uns?»
Tonia nickte. «Du kannst dich darauf verlassen. Wenn du träumst, dann werde ich zu dir kommen. Und wenn du mich brauchst, dann kannst du mich nicht sehen, aber ich bin da. Immer, Schönchen. Immer.»
Rosamund machte sich aus den Armen ihres Vatersfrei. Sie fror noch immer, außerdem verursachte ihr der Gestank hier drinnen ein wenig Übelkeit.
«Dann warte ich, dass du bald kommst. Gott schütze dich», erklärte das Kind und trat an das Eisengitter heran. Der Geruch des fauligen Strohs und des Eimers, der vor Exkrementen überquoll, ließ sie ein wenig zurückweichen.
Tonia strich ihr mit der Hand übers Haar. «Lerne, so viel du kannst, mein Schönchen. Nur wer viel weiß, kann viel erreichen.»
Rosamund nickte. Tonia hatte sie schon immer aufgefordert, viel zu lernen.
Sie trat zurück, ging einige Schritte in Richtung der Treppe, blieb dann stehen und sah sich um. Ihr Vater hatte beide Arme durch das Eisengitter gesteckt. «Ich verfluche mich für meine Feigheit», hörte sie den Vater sagen. «Wenn man doch mich statt deiner verbrennen würde! Gott weiß, meine Schuld ist groß genug.»
Und Tonia erwiderte: «Ihr habt Euch nichts vorzuwerfen.»
«Vergibst du mir?»
«Ja, ich vergebe Euch. Es ist nicht Eure Schuld. Die Welt ist, wie sie ist.»
Rosamund sah, wie der Vater sich losriss und den Gang entlanghastete, ohne sich noch einmal umzudrehen. Sein Gesicht war nass von Tränen, aber Rosamund tat, als würde sie es nicht bemerken.
Sie atmete auf, als sie endlich wieder auf der Straße standen, als alles wieder so roch wie immer und die Kälte aus ihren Gliedern wich.
Still lief sie neben ihrem Vater her, bis sie den Markt, der leer und verlassen lag, erreichten. Rosamund machte sich los, rannte ein paar Meter, zeigte dann auf eine Stelle: «Hier war es.»
«Was?», fragte der Vater.
«Hier ist mir das Ochsenauge aus der Binde gefallen, und die Frau mit dem grünen Halstuch hat es gesehen.»
Ruppert Hoffmann starrte seine Tochter an, als hätte sie sich vor seinen Augen in ein schreckliches Ungeheuer verwandelt.
«Was hat die Frau dann gemacht?», fragte er mit heiserer Stimme.
«Ich weiß nicht mehr. Sie hat geschimpft. Ihre Hände waren ganz grau, und in ihrer Linken stand das Todeszeichen. Deshalb habe ich mit dem Schuh ein Kreuz in den Staub gemalt.»
«Du?», fragte der Vater, noch immer fassungslos.
«Ja, ich war das. Die Tonia hat gelogen.»
Da brach der Vater in Tränen aus, riss Rosamund an sich, so fest, dass das Kind aufschrie. Er küsste ihr Gesicht, küsste auch ihre Augen. Das blaue zuerst und dann das braune, über dem die Augenbinde lag.
«O mein Gott», murmelte er. «O mein Gott. Tonia wird für dich ihr Leben lassen.»
Dann packte er sie ganz fest bei den Schultern, sah sie eindringlich an. «Du darfst von jetzt an das Haus nicht mehr verlassen. Niemand darf dich sehen. Die Leute müssen vergessen, dass es dich gibt.»
Fünftes Kapitel
«Sie schaute auch immer so verhetzt und lief so geschwind herum, als wären alle Teufel in ihr. Ein anständiger Mensch mit einem guten Gewissen, der läuft nicht so schnell.» Lisbeths Nachbarin, die Küfersfrau Hohlhorst, reckte den Kopf und stellte sich auf die Zehenspitzen, um nichts von dem zu verpassen, was auf dem Richtplatz vor sich ging.
Der Holzhaufen war aufgeschichtet, Garküchenköche und Wasserverkäufer gingen herum und boten ihre Ware feil, an der Seite verkaufte eine Kräuterfrau Tränke gegen den bösen Blick. Kinder trieben einen Reifen durch die Menge, lachten und kreischten dabei. Über allem stand die Sonne, als sei dies ein ganz gewöhnlicher Vormittag.
«Sie ist halt eine Zigeunersche», erwiderte die Nachbarin der Küfersfrau. «So eine hat keine Tugend, da ist alles Natur.»
«Gottlob», bemerkte der Hintermann und lachte fettig. Die Nachbarinnen rümpften die hohen Nasen und rückten von ihm ab.
Ein Raunen ging durch die Menge, sie teilte sich und ließ die an Stricken geführte Malefikantin hindurch. DasHaar war Tonia an manchen Stellen ausgefallen, Mund und Augen verschwollen. Ihr Leibchen war gerissen, sodass man einen Teil ihrer Brust sehen konnte.
Die ehrbaren Frauen
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