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Das Mädchen mit den Teufelsaugen

Das Mädchen mit den Teufelsaugen

Titel: Das Mädchen mit den Teufelsaugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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für die kleinste Mitgift gereicht hatte. Reginas Mutter hatte vor Jahren schon geschworen, ihr zehntes Kind dem Herrgott zu schenken. Sie alle saßen hier zwischen den mannshohen Regalen, in denen die Farben und Pinsel, die Pergamente und Federkiele,die Musterbücher, Zirkel, Kohlestifte und die Büchsen mit dem Löschsand lagerten. Die Pulte selbst standen nahe den Fenstern, die mit Butzenglas versehen waren, damit genügend Licht für die Arbeit hereinfiel. Kalt war es freilich trotzdem. Rosamund sah auf die gebeugten Rücken vor sich, sah weiße Wolken aus den Mündern aufsteigen und sich mit dem Rauch aus den Kohlebecken vermischen. Gern hätte sie jetzt in einen Sommerhimmel geschaut, um das richtige Blau für den Mantel der Mutter Maria zu finden, doch es gab keinen Sommerhimmel. Rosamund dachte an den Tag zurück, als sie sich das Auge ausstechen wollte. An Matteo, der von einem Sommerhimmel gesprochen hatte. Einem Sommerhimmel mit Wolken, die sich im Abendlicht bräunlich färbten. Sie hatte ihn nicht mehr wiedergesehen seither, aber sie fühlte sich ihm verbunden. So, als hätte er ihr zum zweiten Mal das Leben geschenkt. Sie war ihm dankbar dafür, konnte sie doch nun hier sitzen und sich über ein leuchtendes Sommerblau Gedanken machen. Vor Gott sind alle gleich, egal, welche Farbe ihre Augen haben. Hier, in Mariahilf, erlebte sie es jeden Tag.
    Nur unwillig legte sie zum Mittagsgebet den feinen Pinsel aus der Hand, eilte mit geduckten Schultern durch die frostigen Korridore zur Kapelle.
    Am Abend hatte sie den Mantel der Muttergottes fertig gemalt. Sie hatte die Falten ihres Gewandes mit zarten Brauntönen betont, sodass es aussah, als walle es über ihre Füße. Gunhilde hatte sie gelobt und gefragt, ob sie sich zutraute, eine ganz eigene Buchmalerei auszuführen. Rosamundwar froh gewesen, wäre am liebsten aufgesprungen und hätte ihre Ideen verkündet. Aber sie blieb sitzen, sie war in einem Kloster. Eine Buchmalerei, die sich wie ein Fries über alle Seiten zog. Nicht am äußeren Rand, von oben nach unten, sondern an der Oberkante entlang, von Seite zu Seite fortlaufend, schlug sie vor. Gunhildes Blick war skeptisch. Dann aber kam sie mit einem Stapel billigen Papiers und sagte: «Probiere es aus. Wir werden sehen, was dabei rauskommt.»
    Nach dem Abendgebet lag Rosamund noch lange wach. Sie fror entsetzlich, der Strohsack wärmte kaum. Ihre Füße waren eiskalt, obwohl die Cellerarin jeder Schwester einen heißen Ziegelstein ans Bettende gelegt hatte. Eine andere Benediktinerin war mit einem Wagen von Zelle zu Zelle gezogen und hatte heißen Würzwein in die Becher verteilt. «Trink, Herzchen, trink in einem Zug, dann spürst du die Kälte nicht so.»
    Den ganzen Tag über hatte es geschneit, und am Abend hatten sich die Bäume mit einer Eisschicht überzogen. Es sah aus, als hätten die Zweige sich mit Diamanten geschmückt, die im Mondlicht glitzerten, doch die Kälte biss und kniff so stark in die Wangen, dass es jede vermieden hatte, sich länger als unbedingt nötig im Freien aufzuhalten. Selbst die «stillen Kammern», wo die Nonnen sich erleichterten, waren eingefroren, und die Frauen wagten es nicht, sich mit bloßen Schenkeln auf den Holzbalken zu hocken, aus Angst, sie könnten dort festfrieren.
    Rosamund hatte vor der Komplet beobachtet, wie Margarete sich ein wenig Holz aus der Küche gestohlen hatte.Wahrscheinlich wollte sie damit nachts ihre Zelle heizen. Ein kleines Feuerchen nur auf dem Steinboden, die hölzernen Läden eine Spalt offen, damit der Rauch abziehen konnte. Margarete musste noch entsetzlicher unter der Kälte leiden als die anderen Schwestern. Sie war so schmal und klein, so zart und zerbrechlich wie ein junges Kätzchen. Da war nichts, rein gar nichts, das sie wärmen konnte. Rosamund hatte geschwiegen, als sie den Diebstahl sah, und hoffte jetzt, dass Margarete endlich einmal warm geworden war.
    Sie kuschelte sich fest in ihr Tuch, tastete mit den Füßen nach dem Stein, der mittlerweile nur noch lauwarm war, und schlief schließlich trotz der Kälte ein.

Elftes Kapitel
    Rosamund träumte von blauen Gewändern, über die jemand eine Schale leicht geronnenes Hasenblut goss. Im Traum überlegte sie, aus welchen Farben sie diesen Ton mischen würde, doch da wurde das Blut auf dem Gewand plötzlich braun, stieg als Rauch auf, der sich ihr schwer wie ein Daunenkissen auf die Brust legte.
    Rosamund musste husten, erwachte vom eigenen Geräusch. Es roch merkwürdig hier.

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