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Das Mädchen mit den Teufelsaugen

Das Mädchen mit den Teufelsaugen

Titel: Das Mädchen mit den Teufelsaugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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einen Halswirbel knacken, dann war das Tier tot.
    «Braver Kerl», lobte die Köchin und schnitt dem Viehmit einem scharfen Küchenmesser die Kehle durch. Das Blut schoss heraus, die Magd konnte gar nicht so schnell eine Schüssel herbeibringen, um es aufzufangen. Rosamund standen die Härchen auf ihren Unterarmen zu Berge, doch sie konnte nicht wegsehen. Das Blut hatte dieselbe Farbe wie Lammblut. Womöglich konnte man es eingedickt zum Malen verwenden. Sie hatte jedes Mal beim Gänseblut am Martinstag daran gedacht, doch niemand hätte ihr gestattet, das bewährte Fiebermittel mit in die Werkstatt zu nehmen. Aber das hier war Hasenblut und keiner da, der daraus Medikamente kochen wollte. Allerdings war sie hier nur eine Schreiberin, die vielleicht später einmal hin und wieder kleine Buchmalereien ausführen durfte und ansonsten den Anweisungen der Skriptoriumsleiterin zu folgen hatte.
    Sie wollte gehen, doch der Vorgang faszinierte sie so, dass sie stehen blieb. Die Köchin schnitt dem Tier die Hinterbeine kurz über den Fußgelenken ein, dann hängte sie den Körper an einen Haken, führte einen Schnitt über die Sprunggelenke an den Innenseiten der Hinterbeine bis zum After, legte das Messer zur Seite, sagte noch einmal: «Braver Kerl», dann zog sie ihm das Fell von den Hinterbeinen beginnend bis über die Ohren. Rosamunde hatte genug gesehen.
    Neben der Küche führte eine Steintreppe nach oben zum Skriptorium. Dieses lag genau über der Küche, damit die aufsteigende Wärme der Herdfeuer den Schreiberinnen, Kopistinnen und Buchmalerinnen die Hände wärmte.
    Heute standen neben jedem Pult Kohlebecken, und die Luft war erfüllt von beißendem Rauch, der sich in Kleider und Haare setzte, die Augen tränen ließ. Rosamund fand hustend zu ihrem Pult, spitzte die Federkiele, sah nach, ob die Büchse mit dem Löschsand den Frost gut überstanden hatte. Dann legte sie sorgsam ein Blatt Pergament vor sich hin, nahm Lineal und den feinsten Kohlestift zur Hand, um die dünnen Linien zu ziehen, auf denen später die Schreiberinnen ihre zierlichen Buchstaben setzten.
    «Na, geht es?» Gunhilde, die Leiterin des Skriptoriums, stand neben Rosamunds Pult. Rosamund nickte. «Ich trage Pulswärmer, die Finger gehorchen mir noch.»
    «Arbeite sorgsam. Wenn du die Linien gezogen hast, könntest du vielleicht die Buchmalereien von Schwester Salesiana zu Ende bringen. Sie liegt im Bett, kann vor Husten kaum sprechen, geschweige arbeiten.»
    Rosamund strahlte. «Ich darf die Buchmalereien ausführen?»
    Gunhilde nickte. «Die Umrisse sind schon gezogen. Es geht nur darum, die richtigen Farben gekonnt aufzutragen. Dein Vater sagte mir, du wärst darin eine Meisterin.»
    Rosamund wurde ganz warm. «Ich werde mir so viel Mühe geben, wie ich nur kann.»
    Sie zog die Linien mit Bedacht, hielt ab und zu inne und spürte dem kleinen Glück nach. Buchmalereien. Das, was sie sich heimlich gewünscht hatte, als sie dem Drängen der Mutter nachgab und sich in ein Kloster zurückzog. Sie hatte darauf bestanden, nur in einen Orden einzutreten, der sich mit diesen Dingen beschäftigte. Mariahilf warbekannt für seine wunderschönen, wertvollen Bücher, die nicht nur dem Erzbischof von Mainz gefielen, sondern sogar dem Landgrafen Philipp, obwohl dieser dem Luther aus Wittenberg anhing. Für seine neugegründete Universität in Marburg hatte er mehr als ein Dutzend Schriften bei den Benediktinerinnen von Mariahilf in Auftrag gegeben. Freilich war das schon Jahre her, und Philipp der Großmütige in den Niederlanden in Haft, doch die Aufträge hatten über seine Verhaftung hinaus Bestand, und das Kloster fühlte sich nun dem Sohne und Christine von Sachsen, Philipps erster und rechtmäßiger Ehefrau, verpflichtet. Buchmalereien für den Rest ihres Lebens. Das war nicht, wovon Rosamund geträumt hatte, aber es schien erträglich. Die Schwestern waren meist freundlich, es gab genügend Speis und Trank, ein Bett, wenn auch schmal und nur mit einem Strohsack belegt, und Gemeinschaft. Hier, in Mariahilf, hatte sie noch keine «Das Mädchen mit den Teufelsaugen» genannt. Hier hatten viele selbst einen Makel, waren gekommen, weil sich kein Freier für sie fand. Da war Salesiana, die eine Hasenscharte hatte, und Mathilda mit dem Klumpfuß. Magdalena verfiel so oft in Schwermut, dass sie zu nichts anderem zu gebrauchen war als zum Gebet, und Dorothea hörte so schwer, dass man sie anbrüllen musste, während Julias Vater so verarmt war, dass es nicht

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