Das Mädchen mit den Teufelsaugen
Dietrich vor Aufregung auf dem Stuhl hin und her rutschte.
Der kicherte noch einmal, beugte sich über den Tisch und erzählte mit Verschwörermine, was er in der Gesellenstube der Weißbinderzunft aufgeschnappt hatte: «Der Philipp, so heißt es, hatte nach 17 Jahren Ehe die Nase voll von seiner Christine. Geliebt hatte er sie ja noch nie, eine normale Fürstenehe eben, geschlossen aus politischen Gründen. Er soll, so sagen die einen, sogar mal über seine Frau geschrieben haben, er habe ‹niemals Liebe oder Brünstigkeit für sie gehabt, wiewohl sie fromm war, aber wahrlich unfreundlich, hässlich, und übel gerochen habe sie auch›.»
Das Urselchen kicherte. «Oh», rief sie aus und strich sich über ihre glänzenden Locken. «Da kenne ich so manche hier, der es ähnlich geht.» Sie warf dabei einen Blick auf ihre Schwester, doch Rosamund tat, als wäre sie für alles außer Dietrichs Worten taub.
«Ja, und dann vor sieben Jahren, da hat der Philipp um die Margarete von der Saale gefreit. Süße 17 Jahre alt war sie, die Christine dagegen schon 35. Er hat an den Luther geschrieben, dass er ja nun als Lutherischer wohl gut zwei Frauen haben sollte. Und der Luther hat zurückgeschrieben, dass davon nichts in der Bibel stünde, und er solle sich mit der Christine bescheiden. Das aber wollte der Landgraf ganz und gar nicht. Er war in Brünstigkeit verfallen und konnte nicht von der Margarete lassen. Also», hier kicherte der Dietrich so, dass er kaumsprechen konnte und sich erst noch einmal mit einem neuen Trunk stärken musste. «Also machte der Philipp einen Wachsabdruck von seiner Leibesmitte und schickte diesen, eingeschlagen in eine Samtdecke, nach Wittenberg zum Luther.»
Lisbeth und das Urselchen kicherten lauthals los. Die Mutter schlug sich sogar die Hand vor den Mund. «Ist das wahr?», stammelte sie. «Ein Abdruck vom landgräflichen Gemächte? Und, wie ist es? Wahrhaft fürstlich, hoffe ich.»
«Wartet ab, Herrin, die Geschichte geht noch weiter», fuhr der Dietrich fort. «Der Luther jedenfalls erhielt die Sendung, schlug das Samtdeckchen zur Seite und tat einen Aufschrei. Dann holte er den Melanchthon dazu und sprach: «Das hat die arme Christine 17 Jahre ausgehalten? Nun, wir wollen sie von ihrem Leiden erlösen.» Landgraf Philipp erhielt also die Heiratserlaubnis mit der Margarete von der Saale, aber zugleich stellte Luther diese Ehe unter das Beichtgeheimnis. Unser Kaiser Karl V. aber ist nicht dumm. Er hörte von der Bigamie und bestellte dem Philipp, er solle seine schmalkaldischen Truppen im Zaume halten und sich selbst in Gefangenschaft begeben, sonst träfe ihn die ganze Härte des Gesetzes, welches ja bekanntlich besagt, dass Bigamie mit dem Tode bestraft wird.»
Der Vater schüttelte den Kopf. «Willst du damit sagen, dass diese ewigen Schlachten um den rechten Glauben nun ein Ende gefunden haben, weil der Landgraf sein Lendenglühen nicht unter Kontrolle hatte?»
«So ist es! So ist es!», schrie der Dietrich und brach in herzhaftes Gelächter aus. Und das Urselchen und die Mutter stimmten ein, warfen die Köpfe nach hinten und brüllten aus vollem Hals.
Rosamund deckte inzwischen das Geschirr ab. Die Magd hatte frei heute. In anderen Häusern war es sogar üblich, die Dienstboten in die Weihnachtsferien zu schicken, da im Winter nicht so viel Arbeit wie im Sommer anfiel. Bei der Weißbinderfamilie Hoffmann dagegen war es anders. Hoffmanns behielten die Magd, und sie, Rosamund, wurde fortgeschickt.
Und das war ihr letzter Tag zu Hause gewesen. Der Vater hatte sie früh am nächsten Morgen hergefahren, die Mutter und das Urselchen hatten noch geschlafen und sich nicht von ihr verabschiedet. Jetzt war sie im Kloster Mariahilf in Engeltal, einen Tagesritt von zu Hause entfernt.
Wenn sie zwischen den Benediktinerinnen beim Essen saß oder beim Gebet kniete, fühlte sie sich ein wenig am Rand. Ihre Kleidung stach hervor aus den schwarzen Gewändern mit den engen Hauben. Dabei wäre Rosamund lieber aufgegangen hier, wäre eine von vielen gewesen, denn sie war gern hier.
Der geregelte Tagesablauf gefiel ihr.
Der Tag, oder besser die Nacht, begann gegen 2 Uhr mit der Vigil, «Herr, öffne meine Lippen, damit mein Mund Dein Lob verkünde.» Oft war Rosamund zu dieser Zeit sterbensmüde, doch in der Gemeinschaft mit den anderen müden Schwestern, die kaum den Mund zum Lob öffnen konnten, fühlte sie sich geborgen. Danachschlief sie tief und fest bis zu den Laudes, die
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