Das Mädchen mit den Teufelsaugen
Sie riss die Augen auf und presste sie gleich darauf wieder zusammen, weil sie tränten. Und nun wusste sie auch, was da roch. Es war Rauch. Rauch, der durch die Türritzen drang, in ihre Kehle quoll.
Sie sprang aus dem Bett, riss die Läden auf. «Feurio» wollte sie schreien, doch da erklang schon die Feuerglocke. Vom Hof tönte Geschrei, die Brunnenkurbel quietschte, jemand rief ihren Namen.
«Hier bin ich, hier oben», schrie sie und winkte.
Gunhilde stand mit bloßen Füßen im Schnee und ruderte mit den Armen. «Mach schnell, die Treppe brennt schon. Tränke dein Kleid mit Wasser und komm.»
Rosamunds Herz begann zu rasen. Sie nahm die Schüssel mit dem halb geschmolzenen Wasser und goss sie über sich. Das Wasser war so kalt, dass es ihr für einen Augenblickden Atem nahm. Dann öffnete sie die Tür. Eine Wand aus Hitze schlug ihr entgegen. Rosamund drehte den Kopf, atmete tief ein, presste sich das nasse Kleid vor Mund und Nase und rannte auf bloßen Füßen über die heißen Steine des Bodens. Das Feuer verfolgte sie. Krachend, knisternd und raschelnd griff es nach ihrem Rocksaum. Hinter ihr polterte ein Balken zu Boden, jemand schrie. Rosamund blieb stehen, sah sich um, doch der Rauch war so dick, das Feuer so dicht, dass sie nichts erkennen konnte. Langsam wurde ihr die Luft knapp, und sie war noch nicht einmal an der Treppe. Weiter, dachte sie, weiter.
Nun konnte sie die Treppe durch den Rauch erkennen. Nur noch ein paar Schritte. Von unten hörte sie ihren Namen rufen. «Rosamund, komm zur Treppe, wir holen dich.»
Vor ihren Augen begann es zu flimmern. Schwarze Kreise stiegen auf, wurden zu Rauch. «Ja», krächzte sie. «Ich komme.»
Nur zehn Schritte, zehn kleine Schritte trennten sie von der Treppe. In ihrer Kehle wurde es eng. Rosamund rang nach Atem, die schwarzen Kreise wurden größer. Alles um sie herum versank in einem dichten Nebel. Sie riss sich das nasse Tuch vom Mund, schnappte nach Atem, spürte, wie ihre Knie weich wurden, sie hustete, fiel und fühlte den Aufprall schon nicht mehr.
Als sie wieder zu sich kam, sah sie über sich den schwarzen Nachthimmel, der sich unzählige Sterne ans Kleid geheftet hatte. Beim ersten Atemzug überfiel sie der Husten.Sie fühlte Hände, die ihren Nacken stützten, sie halb aufrichteten, einen Becher mit Wasser an die Lippen reichten. Rosamund trank dankbar, schüttelte sich ein wenig. «Wo bin ich? Was ist geschehen?»
Gunhilde beugte sich über sie. «Es hat gebrannt, erinnerst du dich? Das Kloster ist in Flammen aufgegangen. Wir haben dich oben an der Treppe gefunden, kurz bevor das ganze Stiegenhaus zusammenbrach.»
Rosamund nickte, richtete sich auf, bemerkte erst jetzt, dass sie im Schnee lag und nur ein Nachthemd trug. Sie schlang die Arme um den Oberkörper. «Und die anderen? Sind die Schwestern alle in Sicherheit?»
Gunhildes Augen wurden dunkel. Sie schüttelte den Kopf, flüsterte: «Margarete fehlt. Sie hat es wohl nicht mehr nach draußen geschafft.»
Jemand kam und legte Rosamund eine Decke um die Schultern, half ihr, auf die Beine zu kommen. Sie taumelte in Richtung Gästehaus, hörte schon von draußen das Klagen, Wimmern und Schreien der Verletzten. Es roch noch immer nach Rauch und, je näher sie dem Gästehaus kam, nach verbranntem Fleisch.
Sie drehte sich um, sah die rauchende Ruine des Klosters, erblickte einzelne Feuernester, die sich im Dachstuhl tummelten. Noch immer quietschte die Brunnenkurbel. Leute aus dem Dorf waren gekommen, gaben sich in einer Reihe vollgefüllte Wassereimer weiter.
Am Horizont dämmerte der Morgen herauf, und Rosamund verstand, dass sie mehrere Stunden ohne Bewusstsein gewesen war. Sie fror bis ins tiefste Innere. IhreKnochen fühlten sich so spröde an, als wollten sie auf der Stelle brechen. Ein paar Meter neben ihr war Schwester Agnes damit beschäftigt, eine junge Nonne mit Schnee abzureiben.
«Komm her, Rosamund», rief sie. «Du bist ganz blau, musst ganz in den Schnee, sonst holst du dir Frostbeulen.»
Rosamund zitterte. Die Zähne klapperten aufeinander wie ein Schellenkranz. Sie taumelte im Schnee herum, zu erschöpft, um einen klaren Gedanken zu fassen, zu erschöpft, um irgendetwas zu tun.
Sie hätte später nicht mehr zu sagen gewusst, was sie in den nächsten Stunden gemacht hatte. Irgendwann hatte sie sich im Speisesaal des Gästehauses wiedergefunden, inmitten der weinenden, jammernden Mitschwestern.
«Was soll nun aus uns werden?», klagte Julia.
«Wo werden wir
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