Das Mädchen mit den Teufelsaugen
leben?», fragte sich Salesiana.
Das Einzige, das Rosamund interessierte, waren die Bücher. «Ist das Skriptorium beschädigt?»
Gunhilde winkte ab. «Alles verbrannt. Jedes Buch, die Farben, alles.» Dann ließ sie sich schwer neben Rosamund auf die Bank sinken.
Rosamund griff ihre Hand, nahm sie zwischen ihre und wärmte sie. «Es wird sich ein Weg finden, glaube mir. Der Herr lässt die seinen nicht im Stich.»
Gundhilde lächelte schmerzlich. «Die Oberin wartet auf den Abt des nahen Männerklosters. Er muss entscheiden, was aus uns wird.»
«Ora et labora», beschwor Stunden später der Abt die Ordensregel der Benediktiner. «Bete und arbeite und danke Gott, dass er dich verschont hat.»
Vier Schwestern waren bei dem Brand ums Leben gekommen; Margarete, Magdalena, Bernadette und Hildegard.
Der Abt verlas ihre Namen, segnete sie, und die Schwestern konnten sich nicht halten vor Trauer, weinten in ihre dünnen Nachthemden, schnäuzten sich in die umgehängten Decken, rangen die Hände.
«Warum hat Gott das zugelassen?», fragte Julia schluchzend und presste sich ein Taschentuch gegen die Augen. Sie war eng mit Margarete befreundet gewesen und hatte eine Herzensschwester verloren.
«Warum, Abt, hat Gott uns das Feuer geschickt?», drängte sie.
Vor Rosamunds Augen tauchte das Bild vom Vortag auf. Margarete, die Holz aus der Küche stahl, um sich zu wärmen.
Der Abt, hager, groß, mit einer Nase, die so schmal und spitz war wie ein Vogelschnabel, zeigte mit dem Finger auf Julia und presste die Worte zwischen strichdünnen Lippen hervor. «Dich selbst solltest du fragen, mein Kind. Habt Ihr gesündigt? Habt Ihr es verdient, dass der Herr Euch das Feuer schickte?»
Die anderen Schwestern schraken hoch, sahen dem Mann mit vor Entsetzen großen Augen an.
«Was glotzt Ihr? Welche Schuld habt Ihr auf Euch geladen, dass der Herr so mit Euch zürnt?»
Den jüngeren Schwestern stiegen Tränen in die Augen. Andere fielen auf die Knie, bekreuzigten sich. Eine wollte sogar beginnen, sich zu geißeln.
Da stand Rosamund auf. «Es ist nicht die Schuld der Schwestern», erklärte sie mutig. «Es ist kalt, und so manche hat sich wärmen wollen. Der Glaube an den Herrn schenkt Frieden und Wärme, aber nur, wenn man ein reines Gewissen hat. Ihr wart es, der den Schwestern die Beichte verwehrt hat. Wenn Ihr also meint, dass sie Schuld an diesem Brand haben, so tragt Ihr auch Euren Teil daran.»
Der Abt durchbohrte Rosamund mit Blicken, aber seine Stimme war lammfromm, als er erwiderte: «Mein Kind, mir scheint, du schaust mit falschem Blick. Der Schnee, die Kälte, ich konnte nicht kommen.»
«Andere haben es auch geschafft.» Rosamund deutete mit dem Finger auf Agnes. «Jeden Tag ist sie in den Wald gegangen, um Kräuter zu holen. Kein Schnee war ihr zu hoch, keine Kälte zu klirrend. Auch die Leute aus dem Dorf sind gekommen, brachten Getreide und Hasen. Nur Ihr habt uns im Stich gelassen. Also frage ich Euch noch einmal: Warum hat Gott uns in diesem Feuer vier Schwestern genommen, die keiner Seele ein Leid getan haben? Warum mussten sie ohne Beichte sterben?»
Der Abt kniff die Augen zusammen, stieß seinen dürren Zeigefinger in Rosamunds Richtung. «Wer bist du, dass du es wagst, so mit mir zu reden?»
«Rosamund Hoffmann aus Frankfurt bin ich und gekommen, um im Kloster zu bleiben. Benediktinerin möchteich werden und den Ruhm des Klosters mit meinen Buchmalereien mehren.»
Der Abt verzog die Mundwinkel nach unten. «Naseweis seid Ihr, an Demut mangelt es Euch. Wisst Ihr nicht, dass ich noch über Eurer Oberin stehe? Wie könnt Ihr es wagen, mir zu widersprechen?»
«Vor Gott», entgegnete Rosamund, «sind alle gleich. Auch Ihr, Hochwürden. Der Mensch ist fehlbar, sonst wäre er Gott. Es ist keine Schande, nimmt Euch nichts von Eurer Würde.»
Der Abt schnappte nach Luft. Seine dünnen Lippen hatten die Farbe alter Steine angenommen. Er trat ganz dicht an Rosamund heran, so dicht, dass sie seinen Atem auf ihrem Gesicht spürte. «Du bist ein Nichts», zischte er. «Nur ein Sandkorn in Gottes Wüste. Hast du dich gefragt, warum es gerade diese vier deiner Mitschwestern getroffen hat? Na? Hast du?»
Rosamund wäre gern einen Schritt zurückgetreten, doch hinter ihr war die Wand. Sie wagte nicht, dem Abt ins Gesicht zu blicken. Sie wusste, er würde in ihren Augen den Teufel erkennen. Furcht kroch durch ihren Leib, lähmte Arm und Bein, doch die Zunge nicht.
«Sie haben so gefroren», sagte sie. «Ihnen
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