Das Mädchen: Roman (German Edition)
sagt sie, und sobald dein Vater geschieden ist, werden wir heiraten.
Ellen hat rote Haare, und ihr Bauch ist so mächtig, als wäre sie mindestens im sechsten Monat. Sie wirkt friedlich, vielleicht etwas verschlafen, doch auf jeden Fall friedlich.
Sie weiß nicht, wie sie ihrer Freude Ausdruck verleihen soll; sie schwört sich, ihrem Vater das nie zu vergessen. Er zündet sich eine Zigarette nach der anderen an. Wir fahren zuerst nach Prenzlau, sagt er, und dann weiter an die Ostsee. Er zieht eine kleine Flasche Stonsdorfer aus seinem Jackett und trinkt einen Schluck. Sie hat ihren Vater noch nie im Jackett gesehen.
Hast du Arbeit an der Ostsee?, sagt sie.
Wir werden dort im Hotel Atlantik sein, sagt er, später bekomme ich mein eigenes kleines Restaurant. Seine Stimme klingt stolz.
Sie schaut aus dem Fenster, sieht den Himmel dunkel werden, Felder und Bäume fliegen vorbei. Dann hält das Auto, und die Scheinwerfer erfassen ein Haus am Straßenrand. Sie werden von Ellens Mutter begrüßt, einer freundlich aussehenden Frau mit grauen Locken und einer Warze am Kinn.
Als sie im Kinderbett von Ellen liegt, versucht sie sich etwas völlig Neues auszudenken, eine Zeit ohne Tag oder Nacht, doch es kommt nur eine Art Dunst heraus, und während sie noch darüber nachdenkt, ob jetzt alles anders wird, schläft sie ein.
Morgens geht sie leise nach draußen in den Garten. Es riecht nach frischer Erde, die ersten Brennnesseln sind von einem zarten Grün. Sie findet eine tote Schwalbe und beginnt, ihr Grab wie eine Wohnung auszubauen. Die Schwalbe bekommt ein gemütliches Lager aus Gras, die Vorratskammer stopft sie voll mit gelben Sumpfdotterblumen, und sie stellt sich vor, dass die Schwalbe gar nicht tot ist, sondern langsam erwacht, ganz wie bei Däumelinchen im Märchen.
Nach dem Mittagessen wird der Badeofen für sie geheizt, und sie bleibt in der Wanne sitzen, bis das Wasser kalt ist. Später geht Ellen mit ihr in die Stadt und kauft ihr ein Sommerkleid und rote Schuhe, sogar ein Hütchen bekommt sie, das sie natürlich nie aufsetzen wird.
Sie braucht Geld und möchte es nicht stehlen. Sie braucht es, um sich fotografieren zu lassen. Es gibt ein Fotogeschäft auf dem Marktplatz, und sie will unbedingt dokumentieren, wie sie aussieht mit dem neuen Sommerkleid, gleichzeitig schämt sie sich für so einen albernen Wunsch. Schließlich zwingt sie sich, ihren Vater um das Geld zu bitten, und er gibt es ihr, will nicht einmal wissen, wofür sie es möchte.
Von den Fotos ist sie enttäuscht, sie weiß nicht, wer sie da anblickt, das Lächeln scheint jemand anderem zu gehören.
Am liebsten würde sie für immer hierbleiben, doch dann fahren sie weiter. Inzwischen hat sie erfahren, was es mit dem großen Bauch von Ellen auf sich hat: Sie ist scheinschwanger, das heißt, in ihrem Bauch ist nur Luft und kein Kind.
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13
Das Hotel Atlantik sieht aus wie ein Schloss, ein Dornröschenschloss, und sie versucht sich die Mauern rosenüberwuchert im Sonnenlicht vorzustellen, doch noch weht ein kühler Wind vom Meer her. In dem großen Zimmer steht ihr Bett direkt neben dem Ehebett, zu nah, findet sie und zieht es vor, auf dem Sofa zu schlafen.
Ihr Vater besteht darauf, dass sie jeden Morgen, bevor sie zur Schule geht, eine Tasse Milch trinkt. Sie ist nicht besonders aufgeregt, als sie zum ersten Mal in ihre neue Schule geht. Spätestens im Herbst wird sie woanders sein, weil Saisonkellner im Winter nie an der Ostsee arbeiten. Andererseits hätte sie hier eine Chance, sich neu zu erfinden; niemand kennt sie, sie hat neue Kleider, einen neuen Haarschnitt, eine neue Schultasche, warum sollte nicht auch sie selbst völlig neu sein können? Sie könnte sich als tolle Sportlerin zeigen, als vorbildliche Schülerin. Doch noch während die Lehrerin sie begrüßt und ihr den Platz zuweist, weiß sie, dass es sinnlos wäre, sich anzustrengen; sie wird neben ein Pummelchen gesetzt, das sie auf den ersten Blick als Außenseiterin erkennt, die anderen Mädchen stecken die Köpfe zusammen und kichern.
Nach Schulschluss läuft sie durch den Kiefernwald, die Dünen hinunter zum Meer, geht am Strand entlang, sucht nach Bernsteinen und vom Sand stumpf geschliffenen Glasscherben. Sie hat schon ein ganzes Glas voll gesammelt, sie sucht auch Muscheln, die sie auf Zigarrenkisten klebt, in die Zwischenräume streut sie winzige Glitzerkörner. Das sind Geschenke für Ellen und ihren Vater. Sie malt auch Bilder, häkelt Topflappen, ihre
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