Das Maedchen und der Luegner
Sie.« Er musterte Tanja interessiert und nickte dann zufrieden. »Ich glaube, Sie könnten sich bei uns wohl fühlen. Jedenfalls machen Sie den Eindruck, als wären Sie nicht so eine Großstadtpflanze wie all die anderen, die sich vorgestellt haben.«
Max biss sich auf die Lippen. Das war eine faustdicke Lüge gewesen, doch Severin von Tarlton hatte angeordnet, keinesfalls den Verdacht aufkommen zu lassen, dass sie, Tanja, die einzige wirklich in Frage kommende Bewerberin gewesen war.
»Das ist ja wunderbar«, staunte Tanj a, als sie außerhalb des Bahnhofsgeländes die schmucke Kutsche entdeckte, der ein weißes Pferdvorgespannt war. »Werden wir damit fahren?« fragte sie ungläubig.
»Haben Sie Angst vor Pferden?« kam sofort die Gegenfrage. »Archie ist ein sehr ruhiges Tier. Wie man so schön sagt, ein lammfrommer Gaul. Sie brauchen sich nicht zu fürchten. Sie mögen doch Tiere?«
»Sehr sogar. Leider hatte ich bis jetzt noch nicht die Gelegenheit, eigene zu haben. Ich habe meine Eltern früh verloren und musste schon ziemlich früh für meinen Lebensunterhalt sorgen, da war für ein eigenes Tier keinen Platz. Aber ich hab jeden Winter in einem Terrarium ein paar Heimchen, die sich bei mir sehr wohl fühlen und immer zwitschern, als sei es Frühling«, berichtete sie sofort vertrauensvoll und lachte ein wenig unsicher, weil sie auf einmal das Gefühl hatte, sich etwas lächerlich zu machen.
Max musterte seine Begleiterin interessiert von der Seite, während er ihr Gepäck zur Kutsche trug.
»Wenn man den ganzen Tag bei der Arbeit ist, bleibt keine Zeit für ein Haustier. Außerdem wollte ich es so einem armen Wesen nicht zumuten, von morgens bis abends allein in der Wohnung zu sitzen und darauf zu warten, dass ich heimkomme. Meine Heimchen hatten immer genügend Futter, und mich brauchten sie nicht für ihr Wohlbefinden, ich sie aber schon«, berichtete sie weiter, während sie neben ihm herlief.
Tanja stieg in die Kutsche un d ließ sich aufseufzend nieder.
»Herrlich ist es. Ich glaube, ich werde hier sehr glücklich sein.« Sie wartete, bis Max ebenfalls zugestiegen war, lehnte sich dann bequem zurück und ließ die herrliche Umgebung auf sich wirken, die langsam an ihnen vorbeizog. Absichtlich s chien Max das Pferd nicht anzutreiben, damit Tanja sich die Gegend genau ansehen konnte.
»Wie ist sie denn? Ich meine Frau von Tarlton. Bis jetzt weiß ich ja nur, dass ich die Gesellschafterin einer älteren Dame im Rollstuhl sein soll. Mehr hat man mir bisher nicht verraten.«
»Wir alle lieben die gnädige Frau sehr. Sowohl Berta, unsere Köchin, als auch ich. Ebenso die beiden Stallburschen Daniel und Bertram und unsere Küchenhilfe Alexandra. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn ausgerechnet Sie nicht den richtigen Draht zu unserer Lady Lavinia finden würden.« Max merkte gar nicht, dass er mehr ausplauderte, als ihm eigentlich gestattet war.
»Himmel, wie soll ich sie denn ansprechen? Ich meine Lavinia. Lady Lavinia? Warum eigentlich Lady?« Tanja fühlte sich ziemlich unsicher.
Max, der in früheren Zeiten einmal der Butler von Dreieichen gewesen war, lächelte in sich hinein. Tanja gefiel ihm immer besser, je länger er' mit ihr zusammen war. »Lady Lavinia sag ich nur, wenn sie es nicht hört. Frau von Tarlton ist Baronin, und welche Anrede sie von Ihnen erwartet wird sie Ihnen mitteilen. Aber machen Sie sich doch nicht unnötig Sorgen, Kind. Lassen Sie es einfach mal auf sich zukommen. Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Auf dem Gut gibt es nur nette Menschen, die niemandem Böses wollen. Also bleiben Sie einfach ganz entspannt . « Er schmunzelte.
Sie war natürlich, ungezwun gen und redete so, wie es ihr in den Sinn kam. Alles in allem schien sie ein herzliches frisches Mädchen zu sein, genau das, was für Lavinia von Tarltons oftmals betrübtes Gemüt gerade richtig war. Vielleicht würde es Tanja ja schaffen, der alten Dame wieder etwas Lebensfreude zu vermitteln. Max hoffte es jedenfalls sehr.
Fast eine halbe Stunde dauerte die Fahrt, und währenddessen erz ählte der ansonsten meist schweigsame Max eine ganze Menge von seinem Brotherrn. Severin von Tarlton war Tierarzt von Beruf, befand sich oft auf Reisen und widmete sich ansonsten hauptsächlich seinen Forschungen.
Welcher Art diese waren, konnte Max nicht sagen, denn das wenige, das er bisher mitbeko mmen hatte, hatte er nicht verstanden.
Und dann kam Gut Dreieichen in Sicht. Zuerst passierten sie ein
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