Das Maedchen und der Luegner
Menschen jedoch Hausarrest bedeuteten. Die ganze Woche ging das schon so, und Lavinia von Tarlton blieb gar nichts anderes übrig, als mit ihren ohnehin schon gewohnten Betrachtungen aus dem Salonfenster vorliebzunehmen.
Zum Glück hatte auch Severin heute nichts Besseres zu tun, als seiner Großmutter Gesellschaft zu leisten. Überhaupt war er in den letzten Tagen sehr verschlossen und einsilbig gewesen.
Irgendetwas ging in dem jungen Mann vor, und Lavinia fragte sich nicht zum ersten Mal, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollte. Sie wollte ihm helfen, ihm mit Rat und Tat zur Seite stehen, doch solange Severin ihr nichts von seinen Problemen erzählte, konnte sie nichts anderes tun als abwarten.
»Ein Wetter ist das«, stellte der Mann leise fest und schob seine Hände in die Hosentaschen. »Der Park ist wie ausgestorben, und ich hätte noch solch eine Menge zu tun gehabt. Zumindest hätte ich die Zwiebeln der Frühblüher ausgraben und zum Trocknen aufhängen müssen.«
»Schimpf nicht, Severin. Ich weiß ohnehin, dass du mir damit nur eine Erklärung für deine schlechte Laune liefern möchtest. Doch mir kannst du nichts vormachen. Dich belastet etwas, und du willst nicht darüber reden.« Diesmal war die alte Dame entschlossen, sich nicht wieder mit irgendwelchen Ausreden abspeisen zu lassen. »Nun sag schon, was hast du? Was ist los? Fehlt dir Gloria?«
Severin lachte freudlos auf. »Gloria? An die habe ich nicht ein einziges Mal gedacht. Eigentlich wünsche ich mir, dass ich ihr nicht mehr zu begegnen brauche, denn dann könnte ich mir eine ziemlich unerfreuliche Unterhaltung ersparen.«
»Du willst sie nicht mehr heiraten?« fragte Lavinia verblüfft.» Was ist denn auf einmal los mit dir, Severin? Ich dachte, es macht dir nichts aus, eine Frau zu heiraten, die du nicht liebst. Stets hast du behauptet, dass es genügt, wenn man sich gut versteht.«
»Erinnere mich nicht daran!« fuhr der junge Mann gequält auf. »Man sagt viel, wenn man es nicht besser versteht. Mittlerweile jedoch habe ich erkannt, dass es immerhin auch um meine Zukunft geht. Mein Leben an Glorias Seite wäre das Leben einer Marionette. Gloria wollte unbedingt meine Frau werden. Sie hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass ihr unser gesellschaftlicher Stand eine ganze Menge bedeutet. Ich war einverstanden, ohne mir groß Gedanken darüber zu machen. Ich glaube«, er grinste ein wenig unsicher, »es muss wohl das Alter sein. Wenn man auf die Vierzig zugeht, fängt man an nachzudenken.«
»Du redest ja gerade, als wär st du Methusalem. Vermutlich gehst du von ganz falschen Voraussetzungen aus. Deine Nachdenklichkeit hat einen anderen Grund, und dieser Grund heißt Tanja. Leugnen bringt nichts. Ich bin zwar alt aber weder senil noch blind. « Lavinia griff in die Speichen ihres Rollstuhls und dirigierte ihn zum Fenster, wo noch immer ihr Enkel stand und nach draußen starrte. »Suchst du Tanja?« fragte sie verständnisvoll.
Entsetzt fuhr der Mann herum. »Was denkst du nur?« fuhr er sie an. »Ich bin doch kein Primaner mehr. Es stört mich lediglich, dass ich dazu verurteilt bin, meine Zeit im Haus zu verbringen.«
»Du könntest zu den Pferden gehen«, schlug die alte Dame vor. »Es macht mir nichts aus, allein zu bleiben. Außerdem wird Tanja spätestens in zwei Stunden vom Einkaufen zurückkehren. Ich kann ja auch nicht verstehen, dass sie unbedingt den Bus nehmen wollte. Du hättest sie sicher gern gefahren, Severin, nicht wahr?« Verschmitzt zwinkerte sie ihrem Enkel zu.
»Du bist unmöglich, Lavinia«, tadelte Severin sie. »Du bist zwar meine Großmutter, doch das gibt dir noch lange nicht das Recht, mich ständig aufzuziehen. Ich bin kein dummer Junge mehr.«
»Du kannst es mir noch so oft versichern, Severin, ich werde es dir trotzdem nicht glauben. Du hast dich wie ein dummer Junge benommen, und jetzt weißt du nicht, wie du aus dem Schlamassel wieder herauskommen sollst, nicht wahr? Zu gern würdest du Tanja die Wahrheit gestehen. Sie gefällt dir nämlich, und das verstehe ich gut. Und dann hast du noch Gloria am Hals.«
»Jetzt reicht es, Lavinia! Glaubst du nicht, ich wüsste nicht selbst, dass alles schief gelaufen ist?« Er verzog das Gesicht. »Musst du ständig Salz in meine offene Wunde streuen?«
»Auch damals habe ich dich gewarnt«, sagte Lavinia mitleidlos, »als Gloria uns fast das Haus einlief, weil sie dich unbedingt haben wollte. Du fühltest dich geschmeichelt und hast ihrem Werben nachgegeben. Und
Weitere Kostenlose Bücher