Das Mädchen und der Schwarze Tod
»Denn im Gegensatz zu Euch glaube ich nicht an Ammenmärchen, mein Lieber. Ein jeder Schurke widerruft auf dem Richterblock, glaubt mir. Dieser ist nicht anders als die anderen, nur weil er jung ist. Ich hab schon einen Achtjährigen baumeln sehen, weil er einen anderen von der Mauer geschubst hat. Der krähte auch, es sei ein Unfall gewesen. Aber kann ich in ihn hineinschauen? Weiß ich, ob dort nicht vielleicht teuflische Gedanken wohnen?« Damit wendete sich der Ratsherr wieder dem Geschehen zu.
Notke beschloss, dieses Thema nicht weiterzuverfolgen. »Habt Ihr von Lynow gehört?«
»Es geht ihm schlecht, wie ich höre«, sagte Oldesloe knapp. »Sie haben ihn in das Sankt-Gertrud-Hospital gebracht.« Dann schenkte er Notke einen Seitenblick. »Aber seit wann bewegt Euch Lynows Schicksal so sehr? Ich hatte den Eindruck, ihr zwei wärt Euch nicht grün!«
»Ich hege keine Sympathie für den Mann«, bestätigte der Maler. »Doch die Pest wünsche ich nicht einmal meinem schlimmsten Feind.«
Dieses Thema schien Oldesloes Humor zu vertreiben. Er sah gedankenloren in weite Ferne. »Da habt Ihr wohl recht, Meister Notke. Es ist ein schlimmer Tod.«
Der Maler biss sich auf die Zunge. »Es tut mir leid, ich wollte nicht -«, begann er, doch Oldesloe unterbrach Bernt mit belegter Stimme: »Keine Entschuldigung nötig, Meister.«
Als der Ratsherr sich räusperte und betroffen in die Hand schnäuzte, sah Notke mitfühlend weg. »Dieser neuerliche Pestzug muss schlimme Erinnerungen in Euch wecken, Herr.« Oldesloe nickte nur und schwieg.
»Habt Ihr deswegen die Bruderschaft gegründet?«
Zum ersten Mal hatte er das Gefühl, dass Oldesloes Maske ein wenig bröckelte. Der Ratsherr wirkte müde. »Ja, das war einer der Gründe. Ich wollte, dass stets jemand da ist, um für meine Frau eine Messe zu bezahlen. Mathildeken ist zwar nicht an der Pest gestorben, doch sie hat im Leben genug gelitten«, er räusperte sich betreten. »Ich wollte, dass sie im Jenseits nie wieder leiden muss.«
Notke antwortete nicht darauf, er legte dem großen, bulligen Mann, der nun ganz eingefallen wirkte, eine Hand auf die Schulter. »Ihr habt in ihrem Namen ein gutes Werk getan. Viele Leute werden davon profitieren.«
»Oh ja. Und Ihr seid einer davon, Notke.« Oldesloe wischte sich die Feuchtigkeit aus dem Auge. Dann fixierte er den Maler. »Seid Ihr bereit, dafür etwas zu tun?«
»Sicher. Sonst wäre ich der Bruderschaft ja nicht beigetreten.«
»Lynow hat sich sehr an der Arbeit beteiligt, die so anfällt. Nun fehlt er uns, und wir brauchen jemanden, der für ihn übernimmt. Wollt Ihr das tun?«
Also hatte Lynow die Drecksarbeit der Bruderschaft gemacht. Hatte Marike diese Angelegenheit gemeint, als sie ihn gestern vor dem Schmied warnte? Er zögerte. »Was hat er denn so alles gemacht?«
»Nichts, was Ihr nicht auch tun würdet, Notke«, brummte Oldesloe. Der Maler betrachtete erneut die äußere Fassade des gut gelaunten Mannes. Dann erinnerte sich Notke an den Angriff Lynows auf Marike und fand, dass der Schmied und er deutlich unterschiedliche Vorstellungen von Moral hatten. So zuckte er die Schultern. »Ich weiß nicht. Wenn ich ehrlich sein soll, war Lynow ein Scheißkerl. Keine Ahnung, was er alles im Namen der Bruderschaft getan hat und was auf eigene Rechnung, doch ich bin sicher nicht ein so roher Kerl wie er.«
»Glaubt Ihr, die Bruderschaft würde Euch um Taten bitten, die Ihr nicht mit Eurem Gewissen vereinbaren könnt?«
»Das nicht, Ratsherr Oldesloe, es ist nur -«
»Ja?«
Ja was? Notke verstummte. Er konnte dem Ratsherrn kaum seine wahren Gründe eingestehen: dass er die Mitgliedschaft bei den Blasiusbrüdern für einen Fehler hielt. Dass er Marike mehr vertraute, die ihn vor Lynow und seinen Mitwissern gewarnt hatte. Und dass Oldesloe als Kopf der Bruderschaft vermutlich tiefer in der Sache steckte als alle anderen. »Nennt mich einen Narren, Ratsherr, aber ich setze ungern meinen Namen unter ein Schriftstück, dessen Inhalt ich nicht kenne.«
Oldesloe hob erstaunt die Augenbrauen. »Habt Ihr das nicht längst getan?«
Notke starrte ihn an. Ja, möglicherweise hatte er das schon. Er war ein Blasiusbruder geworden, ohne zu fragen, was auf ihn zukäme.
»Wir könnten auch arrangieren, dass der alte Pertzeval Euch als seinen Schwiegersohn akzeptiert, Notke. Die alte Flunder hat schon ein halbes Dutzend Männer abgewiesen. Der rückt seine Tochter nie heraus, wenn man ihn nicht ein wenig
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