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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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geschlagen waren.
    Oldesloe schlug Notke auf seine unnachahmliche Art auf die Schulter. »Wie sagen die Priester doch? Die Wege des Herrn sind unergründlich, das Schicksal der Menschen längst beschlossen. Die Pest kann Euch in der ländlichen Einsamkeit genauso erwischen, Meister Notke, wie im städtischen Getümmel. Wen der Herr strafen will, den findet er, egal, wo man sich verkriecht!«
    »Das klingt, als wärt Ihr nicht sonderlich glücklich darüber, Herr«, stellte Notke fest.
    »Niemand lässt gerne jemand anderen über sein eigenes Schicksal bestimmen – auch nicht, wenn dieser andere Gott ist. Nennt mich einen Lügner, wenn Ihr anderer Meinung seid«, brummte Oldesloe. Notke schwieg nachdenklich. Seine Meinung zu den Pfaffen war gespalten, die zu Gott jedoch nicht.
    Sie traten in die hölzerne Ratsbude, die hier des schlechten Wetters wegen aufgebaut worden war. Um sie herum glühten aufgeregte Gesichter, deren Augen bereits die fiebernde Spannung widerspiegelten, die mit einer Hinrichtung einherging. Unwillkürlich musste der Maler an Marike Pertzeval denken. Sie hatte noch vor ein paar Tagen den Schmied Lynow verteidigt, als die Schausteller ihn aufknüpfen wollten. Dabei hatte sie den Schmied nicht einmal gemocht, ja, er hatte sogar eine Gefahr für ihren Ruf dargestellt. Nun war Lynow pestkrank und würde sich kaum wieder erholen. Nur wenige überlebten die Pest.
    Als oben in schwindelnden zwanzig Ellen Höhe Gestalten aus dem kleinen Durchlass kamen, der aus dem Treppenturm auf das Holzgerüst führte, geriet die Menge in Bewegung. »Heh!« – »Hah!« – »Lass, baumeln, Jung!« – »Der Giftbecher wär dir lieber, was?« Rufe und Gelächter, sogar Rasselund Knattergeräusche empfingen den zum Tode Verurteilten, und jeder reckte den Hals und wollte einen Blick auf ihn erhaschen. Notke erwischte sich dabei, wie er es den Leuten gleichtat. Als Antwort drang von oben ein Wimmern und Schluchzen herunter, dass sich ab und an als undeutliches Gestammel deuten ließ. Nicht selten sprachen die Beherzteren unter dem Galgen noch einen letzten Wunsch aus oder machten eine letzte Verkündigung. Doch der junge Novize, dessen braunes Haar ihm wie Kraut und Rüben vom Kopf stand – Thomas war wohl sein Name – wehklagte nur.
    »Kein Mumm in den Knochen, der Bursche, was?«, lächelte Oldesloe an Notkes Seite. »Das wird sicher ein ulkiges Tänzchen, wette ich!«
    In der Tat lachten die Leute auf, als der Scharfrichter den widerstrebenden Novizen unter den Balken schieben musste. Der junge Mann war von Sinnen vor Angst. Er greinte so laut und heftig, dass Notke es kaum ertrug. Was dort oben geschah, war keine Hinrichtung, das war Kindesmord. Der Maler forschte in den angespannten Gesichtern der Zuschauer nach einer Spur Mitleid, doch er fand keines. Was war so erregend am Tod? Oder war es gar nicht der Tod, sondern die Verurteilung, das Wiederherstellen von Gerechtigkeit? Lag es in der Natur der Menschen, dass sie sich am Fall, an der Misere eines anderen so ergötzten? War der Mensch ein solches Tier, dass es die Gesetze von Stadt und Staat und die Moralvorschriften der Kirche brauchte, damit das Leben in einer Gesellschaft möglich wurde?
    »Ich – ich hab’s doch nicht getan«, schluchzte der Junge nun dünn von oben herunter. »Wirklich! Ich hab’s doch nicht getan!« Der Maler hatte genau diese Versicherung bei so mancher Hinrichtung vernommen und hatte den Figuren, die jeweils am üblen Ende des Stricks gestanden hatten, nicht ein Wort geglaubt. Doch bislang war er auch noch nicht Zeuge der Hinrichtung eines Buben geworden. Was hatte Marike in jener Nacht im Rovershagen gesagt? Niemand auf dieser Erde sei so unschuldig, dass er über jemand anderen urteilen könne. Vermutlich war er, Bernt Notke, schuldiger als der arme Junge dort oben, allein deshalb, weil er länger auf der Welt war. Der Maler spie aus, denn ihm kroch ein übler Geschmack in den Mund.
    Seine Gedanken schweiften zurück zu Marike, dem tapferen Mädchen. Sie hatte ihn vor dem Schmied Lynow gewarnt. Dass der Mann ein Schurke war, wusste der Maler bereits. Doch was für eine Intrige hatte er angeblich gegen Johannes Pertzeval ausgebrütet, die seine Tochter so beunruhigte? Und Lynow war eine Sache. Steckte dann aber auch die Bruderschaft, steckte Oldesloe dahinter? Notke hatte über die Verbindung der beiden Männer nur ungern geschwiegen, doch sein Eid band ihn.
    »Schaut, Notke, der Priester segnet den Mann ein!« Tatsächlich hatte

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