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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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dort oben ein junger Kaplan begonnen, den Novizen auf seine Begegnung mit Gott vorzubereiten. Nun konnte es nicht mehr lange dauern. Man verweigerte selbst Mördern den Segen eines Priesters zur Freisprechung von den irdischen Sünden nicht. Der Tod war eine Schwelle zwischen dem Reich der Lebenden und dem von Gott. Niemand sollte seine Bürden von diesem in jenes mitnehmen müssen.
    »Was für eine Form der Rechtsprechung«, murmelte Notke bedrückt. »Man zieht ihnen die Hälse lang und überlässt es dem Herrn, die Schuldigen von den Unschuldigen zu sondern. Die Schuldigen haben die Hölle eh verdient, und die Unschuldigen erleiden keinen Schaden, denn sie stehen ja bei Gott. Und das alles nur, weil wir uns nicht die Mühe machen wollen, es selbst herauszufinden!«
    »Habt Ihr denn eine Veranlassung, an der Schuld dieses Jungen da oben zu zweifeln, Notke?«, fragte Oldesloe. »Wenn ja, dann solltet Ihr besser jetzt sprechen, denn gleich ist er tot!«
    »Nichts Handfestes«, murmelte Notke unglücklich. Doch ihm wurde klar, dass er den Novizen tatsächlich für unschuldig hielt, obwohl er die Zeugnisse der Domherren und die Beweise, die dem Verurteilten zur Last gelegt wurden, gar nicht kannte. Doch was half eine Ahnung bei einem Verbrechen wie diesem, besonders dann, wenn sie von einem Außenstehenden wie ihm kam? Ein Ratsherr hingegen konnte seinen Einfluss selbst am Galgen noch geltend machen... Wenn er sich irrte – würde er dann nicht gar als Mitschuldiger gelten? War das Ganze wirklich seinen Ruf wert? Auf der anderen Seite … der Novize da oben war vielleicht der einzige Mensch, der aufklären konnte, wer den Bischof tatsächlich ermordet hatte. Als Bernt sich Marikes erinnerte, als sie ihn um Hilfe für Schmied Lynow gebeten hatte, stand sein Entschluss fest.
    Notke drehte sich zu Oldesloe herum. »Ihr könntet dem Jungen noch einen Aufschub geben, nicht wahr? Bis geklärt ist, ob er wirklich der Mörder ist?«
    Der Ratsherr räusperte sich betreten. »Meister Notke, das ist doch längst geklärt. Sein Gejammer sollte Euch nicht beeindrucken – das hört man jedes Mal. Und ich sollte es wahrlich wissen!« Er wies auf das Hochgericht. »Ich bin oft bei den Hinrichtungen, um mich daran zu erinnern, wie schnell alles zu Ende sein kann. Es lässt einen wieder wertschätzen, was einem das Leben bedeutet, findet Ihr nicht?« Er holte tief Luft, als trete er nach langer Dunkelheit in die Sonne eines Frühlingstages. »Macht einen lebendig!«
    Notke betrachtete den Ratsherrn befremdet, obwohl er wusste, dass viele Menschen so dachten. Dann fiel ihm etwas ein. »Wie ist die Schuld geklärt worden, Ratsherr?«
    »Ich schätze, er war wohl der Einzige, der infrage kam.«
    »Der Einzige? Das heißt, er hat nicht gestanden?«
    »Wenn ich den Fall richtig im Kopf habe, hat er nicht. Aber man hat ihn auch nicht hochnotpeinlich befragt. Und das deutet darauf hin, dass an seiner Schuld kein Zweifel besteht, Geständnis hin oder her.« Oldesloe lachte polternd.
    Notke schüttelte ungläubig den Kopf. Er hatte immer gedacht, man könne nur dann einen Menschen zum Tode verurteilen, wenn er die Tat auch gestanden hatte, und sei es auf der Folterbank. »Das heißt, es hätte ebenso jeder andere aus dem Dom sein können – vom Gesinde hoch zum Domkapitel?«
    Bei diesen Worten hatte Notke den Eindruck, dass sich Oldesloes Haltung änderte. Eben noch hatte er die Einwände mehr oder weniger schnell vom Tisch gewischt. Nun aber fühlte sich der Maler aus kleinen Augen gemustert. Wusste der Ratsherr mehr über diese Angelegenheit, als er zugab?
    »Heißt das«, brummte Oldesloe mit gesenkter Stimme, »dass Ihr die gesamte Geistlichkeit des Doms unter Mordverdacht stellen wollt? Am besten noch das ganze Domkapitel?« Diese Gruppe leitete die bischöfliche Kirche, ihr Vorsteher, der Domprobst, hatte gar vorübergehend die Aufgaben des toten Bischofs übernommen. Über diese Konsequenzen hatte der Maler natürlich noch nicht nachgedacht. Den einen zu entlasten hieße, andere zu beschuldigen.
    »Tja, vielleicht wäre das gar nicht so schlecht«, murmelte Notke. »Nehmt doch für einen Augenblick an, dass meine Ahnung stimmt. Wisst Ihr, was es dann für Konsequenzen hätte, den Buben zu hängen?« Er musterte Oldesloe und meinte, ein Lächeln über dessen Züge huschen zu sehen.
    »Es bedeutet, dass der Mörder eines Bischofs frei herumläuft.«
    »Das scheint Euch nicht zu beunruhigen.«
    »Nicht sonderlich«, lächelte Oldesloe.

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