Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
Vom Netzwerk:
Notke beschleunigte seinen Schritt, bis er beinahe rannte. Er musste es riskieren.
    Auf der Breiten Straße erwartete Notke hektisches Treiben. Ganz Lübeck schien die Mauern der Stadt fliehen zu wollen, denn vor etlichen Häusern wurden große Karren für die Flucht bereit gemacht. Die Besitzer ließen Kisten, Teppiche, Stühle und Fässer darauf stapeln, Silbergeschirr und Glas in Leinen wickeln, um zu retten, was nicht niet- und nagelfest war.
    In all dem Gewirr hielt eine ärmlich gekleidete Frau ein Kind hoch und flehte um einen Platz auf dem Karren, doch das betriebsame Gesinde missachtete sie. Auf Höhe der Pfaffenstraße griff eine Traube in Lumpen gekleideter Tagelöhner nach den Karrenwänden eines schaukelnden Gefährtes, um sich hochzuziehen. Zwei Büttel konnten die Menge kaum davon abhalten, das Gepäck herunterzureißen und sich hinaufzuschwingen.
    Bernt Notke hastete weiter, bis endlich die dunklen Backsteinmauern von Sankt Marien vor ihm aufragten. Vorsichtig schob er die knarrende Tür zur Beichtkapelle auf. Der Duft seiner eigenen Ölfarben empfing ihn zusammen mit dem Gemisch aus kühlem Weihrauch und Verwesungsgestank. Die Hallen waren erstaunlich still; stiller als noch vor ein paar Tagen, denn mittlerweile mieden viele Lübecker die öffentlichen Plätze – und sogar diese Kirche. Notke warf einen misstrauischen Blick auf die Oldesloekapelle und ging dann daran vorbei ins Norderschiff. Hier sah er sich zögernd um. Aus der Schläferkapelle kam gerade eine wohlbetuchte Handwerkersfrau heraus. Der Maler trat vor den Eingang der Kapelle, um zu schauen, ob Pater Nikolaus heute wirklich die Beichte abnahm. Der Mann mit der schmalen Statur saß dort noch im Gebet. Notke fühlte sich, als wäre eine Last von seinen Schultern gefallen.
    Der Maler zog das Wams gerade und trat an das Portal der Schläferkapelle. Dabei schweifte sein Blick zum Lettner, an dem die Handwerkersfrau vorbeiging. Er runzelte die Stirn und hielt im Durchgang der Kapelle inne, als er eine hagere, dunkle Gestalt sah, die hinter dem Altar vor dem Bürgermeisterstuhl hervortrat. Notke erkannte den Flötenspieler aus dem Rovershagen. Dies war der Mann, der Bernt Lynow, Oldesloes Verbündeten, vor dem Strick gerettet hatte. Nun war dieser Streuner hier, inmitten der reichsten Kirche Lübecks. Notke hoffte, der Küster hätte ein Auge auf den Mann. Jetzt sah der Pfeifer auf und fing Notkes Blick. Er lächelte spöttisch. Notke bemerkte mit Schrecken, dass er auf die Nordervorhalle mit dem Totentanz zuging. Kurz davor bog er jedoch in den Chorumgang zwischen Lettner und Oldesloekapelle ab.
    »Nur nicht so zaghaft, Mann!«, drang ihm Domherr Nikolaus’ helle Stimme an das Ohr. »Wenn Ihr Eure Sünden vergeben haben wollt, dann müsst Ihr sie schon bekennen und bereuen!« Mit einem letzten Blick löste sich Notke von der Gestalt des Pfeifers und trat in die Schläferkapelle hinein. Darin erwartete ihn bereits der schmale Priester im Wandgestühl sitzend.
    »Setz dich, mein Sohn.« Der Domherr wies auf den Platz neben ihm, der das Gesicht des Beichtenden durch einen breiten Holzflügel abschirmte. Notke trat näher und kniete sich mit dem Gesicht zur Wand hinein. Die Hand ging aus Gewohnheit zu der Stelle, an der sein Rosenkranz sonst hing. Dann fiel ihm ein, dass Marike Pertzeval ihn ja verloren hatte. Er ärgerte sich einen Augenblick lang darüber, bekreuzigte sich dann und faltete die Hände.
    »Unser Herr Jesus Christus spricht: Nehmt hin den Heiligen Geist! Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.
    Ihr seid also gekommen, um von Euren Sünden losgesprochen zu werden?«
    »Das bin ich, Pater«, erwiderte Notke zögernd. Der Verrat an der Bruderschaft, den er im Begriff war zu begehen, war auch eine Sünde. Immerhin wäre der Domherr auf diese Weise durch das Beichtgeheimnis gebunden. Notke wollte dem Pfaffen nicht weiter trauen, als es unbedingt nottat. »Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.«
    »Gott erleuchtet unser Herz und möge dir wahre Erkenntnis deiner Sünden und seiner Barmherzigkeit schenken«, erwiderte Nikolaus mit heller Stimme und bekreuzigte sich ebenfalls.
    Eine gewisse Beklemmung erfasste Notke, denn seine letzte Beichte lag lange zurück.
    »Was belastet dein Herz, mein Sohn?«
    Der Maler sammelte seine Gedanken. »Es ist weniger etwas, was mein Herz belastet... es geht um den Ratsherrn Anton Oldesloe,

Weitere Kostenlose Bücher