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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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Lasttiere und vernagelten ihre leer stehenden Häuser. Auch ärmere Leute flohen zu Fuß und schleppten, was sie tragen konnten. Ziel der Stadtflucht war für einfache Leute das nahe Hinterland, Wohlhabende ließen die Preise der Schiffspassagen in andere Hansestädte in die Höhe schnellen. Andere zogen sich auf ihre Höfe auf dem Land oder zu Verwandten in andere Städte zurück, die noch nicht von der Pest heimgesucht waren. In Lübeck schienen die Kirchen der einzige öffentliche Ort zu sein, an dem man noch sicher vor der Geißel Gottes sein konnte. Umgekehrt munkelte man, die Marienkirche hätte ganz offenbar den Segen Gottes verloren, da ausgerechnet dort die Seuche zuerst zugeschlagen hatte.
    Marike verließ den kühlen Lübecker Dom durch eine Pforte an der Nordseite, dicht gefolgt von ihrer Magd Alheyd. Als sie eine Brise in ihrem Haar spürte, hob sie kurz den Kopf, um den Lufthauch über das Gesicht gleiten zu lassen. Die Härchen auf ihren Wangen stellten sich auf, doch sie spürte die Kühle des Windhauchs nicht. So musste es sein, wenn eine Ertrinkende in sturmumtoster See von der Strömung in die Tiefe gezogen wird. Es gab Augenblicke, da wusste sie nicht, ob sie aus diesen dunklen Fluten jemals wieder auftauchen würde.
    Pater Martin war tot. Der liebenswerte, fürsorgliche, ihr zugewandte Mann war tot. Er, der Marike seit dem Tod ihrer Mutter so nahegestanden hatte wie sonst nur ihr Vater. Sie vermisste den Priester so sehr, dass es ihr die Kehle zuschnürte. Sie hatte am Sarg ihres alten Freundes gestanden und darum gebetet, dass sie endlich aus diesem bösen Traum erwachen würde.
    Ein Krächzen ließ Marike aufhorchen. Auf der sachte im Wind schwankenden Krone einer Eiche, die im Innenhof am Pferdemarkt stand, hockte ein Krähenschwarm. Wie auf dem Wasser dümpelnde Boote schwebten sie auf den Ästen hin und her, die unter dem Gewicht wankten. Dabei glotzten die Vögel herab und krächzten rau. Es klang wie ein Lachen, als bereite ihnen etwas teuflische Freude. Marike erschauerte. Hatten diese Boten des Unglücks noch nicht genug angerichtet?
    Sie ging die Straße zum Marktplatz hoch. Der Vater hatte sie gehen lassen, da sie versprochen hatte, auf direktem Wege nach Hause zu kommen. Doch die junge Frau schreckte vor der dunklen Diele zu Hause zurück, die ihr in den letzten zwei Tagen vorgekommen war wie ein Grab. Der Vater hatte jeden Ausgang streng verboten und über sie gewacht wie ein Luchs, doch er hatte diese Strenge auch gegen sich selbst geübt und war nur hinausgegangen, wenn es sich gar nicht vermeiden ließ.
    Marike machte sich keine Illusionen darüber, weshalb der Pater erschlagen worden war. Lynow war aus dem Spiel, doch seine Bruderschaft noch nicht. Martin musste den Mördern so dicht auf den Fersen gewesen sein, dass sie Angst bekommen hatten. Er hatte vorgehabt, dem Flötenspieler auf die Spur zu kommen. War ihm das gelungen? Hatte man ihn deshalb erschlagen? Oder war sein Tod von so langer Hand geplant gewesen wie der Totentanz? Marike könnte sich ohrfeigen. Sie hatte zwar erkannt, dass die Toten den Figuren auf dem Gemälde entsprachen, daraus jedoch nicht den Schluss gezogen, dass der Kaplan der Nächste sein würde. Doch wer konnte eine solche Ruchlosigkeit vorausahnen? Wenn sein Leiden so schlimm gewesen war, wie ihre Vorstellungskraft es sich ausmalte, war keine Strafe zu schlimm für die Schurken, die das getan hatten!
    Auf dem Markt angekommen stellte Marike erstaunt fest, dass Lübeck sich innerhalb weniger Tage entvölkert zu haben schien. Besonders viele der wohlhabenderen Zünfte fehlten.
    Natürlich hatte auch Marike Angst vor der Seuche – sie wäre dumm, wenn sie sich für unverwundbar hielte. Nach der Begegnung mit Lynow in Sankt Marien hatte sie gedacht, das bedeute ihr Ende. Sie hatte zwei Tage lang beinahe stündlich ihre Gliedmaßen nach den ersten Anzeichen von Beulen überprüft, jedes Erröten für das erste Symptom des Fiebers gehalten. Heute war es sieben Tage her, dass Lynow sie im Rovershagen berührt hatte. Sowenig man sich über die Ursachen der Pest im Klaren war, so wusste man doch, dass sie oft ihre Opfer schon binnen einer Woche tötete, zumindest aber bereits erste Anzeichen der Seuche auftraten. Wenn sie sich in der Kirche nicht neu angesteckt haben sollte, bestand also eine gute Chance, dass sie noch nicht krank war. Der Vater hatte sich zwar über den plötzlichen Sinneswandel gewundert, das Haus zu verlassen, doch Marike hatte den alten

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