Das Mädchen und der Schwarze Tod
sich. Da passiert so was schon mal.«
Die Jungfer schüttelte den Kopf. Wenn doch nur alles so einfach wäre. Sie schenkte dem Knecht ein aufmunterndes Lächeln. Der Junge war eine gute Seele und seinem Herren treu. »Sievert, nicht?«, fragte sie, und der Mann nickte. »Mach dir keine Sorgen.« Diese Worte ließen Sieverts Gesicht aufleuchten. »Danke, Herrin!«
Marike wandte sich zur Tür und zu dem Fron. »Brigen«, sprach sie. »Dort oben unter dem Düsteren Schwibbogen liegt eine arme Frau mit der Pest. Kannst du einen Karren hinschicken?«
»Sicher, Jungfer Pertzeval.« Der Fron bellte ein paar Befehle ins Haus hinein: »Claas, Watzel, holt den Karren und schafft ein Weib vom Rathaus in die Pestgrube!«
»In die Pestgrube? Bringt sie doch ins Gertrudenspital!«, protestierte Marike entsetzt.
»Das Gertrudenspital ist völlig überfüllt, da sterben’se auch wie die Fliegen. Und die Leute sterben doch eh, was soll man da noch Kraft drauf verschwenden?«
»Aber sie ist noch nicht tot!«
»Wird’se aber bald sein«, erwiderte der Fron schlicht.
»Die Frau leidet und hat Schmerzen. Wenigstens kann man ihr die letzten Tage erleichtern! Zeigt doch ein bisschen Mitleid!«
»Und damit steckt sie dann noch wie viele fromme Pfleger an? Drei? Vier? Und stirbt dann doch? Jungfer, das ist kein Mitleid, das ist Selbstmord.«
Marike machte den Mund zornig auf und zu. Doch was sollte man dagegen sagen? Sie verstand ja, was er meinte. Doch die Frau lebendig in die Pestgrube neben die Toten zu werfen – das war barbarisch.
»Lasst sie nach Sankt Gertrud bringen!«, knurrte sie drohend. »Seid Ihr sicher, dass Ihr nicht auch die Pest bekommt? Wollt Ihr dann so vor Euren Schöpfer treten?«
Dieses Argument schien Konrad Brigen zu erreichen. Als sich die beiden Pestfahrer durch die Tür drückten, trug er ihnen leiser auf: »Bringt die Frau ins Spital von Sankt Gertrud.«
»Und jetzt«, sprach sie erleichtert, »muss ich Herrn Notke sehen.«
»Ich, also – das gehört sich nicht!«, protestierte der muskulöse Mann. Eine ehrliche Jungfer wie Marike, die einen fremden Mann in der Fronerei besuchte? »Euer Vater wird mich hinrichten lassen.«
»Mein Vater wird gar nichts tun, das wisst Ihr doch, Brigen«, meinte Marike. »Außerdem muss er es ja nicht wissen, oder?«
»Hmpf«, machte der Fron nur und trat beiseite.
»Danke, Brigen«, sprach sie erleichtert und ging die Stufen hoch. Die Kaufmannstochter nahm Alheyds Hand und zog die widerstrebende Frau beinahe hinter sich her. »Wo muss ich lang?«
»Die Treppe hoch, Herrin«, erwiderte der. Dann seufzte er. »Die zweite Kammer links. Ich zeig’s Euch.« Damit griff er sich eine Laterne und ging voran, während er den dicken Schlüsselbund vom Gürtel nahm. Marike folgte mit klopfendem Herzen. Vielleicht wüsste Bernt, wie Pater Martin gestorben war. Sie verschwendete keinen Gedanken daran, dass er schuldig sein könnte. Er konnte damit nichts zu tun haben.
Die Wendeltreppe mündete in einem niedrigen, dunklen Geschoss. Die Holzdielen auf dem Boden knarrten, als der schwere Fron vor eine Tür trat, den Schlüssel ins Schloss steckte und die Tür öffnete. »Besuch«, knurrte er unwirsch. »Setz dich auf den Arsch.«
Marike holte tief Luft, verschränkte nervös die Hände und trat dann in den Türrahmen. Vor ihr ließ Notke sich gerade auf einen Schemel nieder. Am Unterkiefer zeigte sich ein dicker Bluterguss über den rauen Bartstoppeln. Auch sonst sah er schrecklich aus. Hemd und Wams waren mit festgetrocknetem, braunem Blut besudelt und teils zerrissen. Sein Haar war wirr und voller Stroh. Er blinzelte ihr entgegen, offenbar das Licht nicht mehr gewohnt. Aus einem alten Grapen stank es nach Fäkalien. Als Notke Marike erblickte, leuchtete kurz Hoffnung in seinen Augen auf. Dann jedoch runzelte er die Stirn. »Jungfer Pertzeval«, meinte er tonlos. »Was wollt Ihr denn hier?«
Marike hatte einen Schritt in den Raum gemacht. Nun hielt sie inne. Vielleicht hätte sie nicht kommen sollen. »Lasst uns allein«, bat sie den Fron. Der verschränkte die Arme vor der breiten Brust. »Im Leben nich’, Jungfer. Ich will Euerm Vater nich’ sagen müssen, dass dieser Kerl seiner Tochter was angetan hat!«
»Ihr solltet gehen«, sagte auch Notke, doch er meinte nicht den Fron.
Marike schüttelte den Kopf. Sie würde diesen Raum nicht verlassen, bevor sie nicht die Wahrheit über Martins Tod kannte. »Ich werde bleiben. Und Ihr könnt Euch Euren Atem sparen, Herr
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