Das Mädchen und der Schwarze Tod
Notke.« Der Maler starrte sie an. Dann erhob er sich und rückte ihr den Schemel zurecht. Er selbst ließ sich auf das Strohlager an der hinteren Wand nieder. Marike trat zögernd näher und setzte sich. Der Fron lehnte gerade außerhalb der winzigen Kammer an der geöffneten Tür. Alheyd hockte sich innen an die Wand beim Ausgang.
Marike wusste nicht so recht, wie sie beginnen und was sie sagen sollte. Es gefiel ihr gar nicht, dass der Fron hinter ihr lauerte und sicher alles eifrig belauschte. Wenn Brigen den falschen Leuten von ihrem Besuch berichtete, wäre ihr Ruf keinen Pfennig mehr wert. Notke unterbrach ihre Gedanken. »Es tut mir leid«, sprach er dann sanft.
Sie sah überrascht auf und traf seinen Blick. Sie las darin Mitgefühl und Trost. »Das mit Eurem Beichtvater«, erklärte er. Sie sah auf ihre Hände und nickte nur, denn auf einmal war der Knoten im Hals wieder da.
»Ihr habt Martin nicht getötet«, stellte Marike fest. Der schmuddelige Maler verzog in einem humorlosen Grinsen die Lippen. »Das könnt Ihr gar nicht wissen, Jungfer«, sagte er trocken. »Immerhin scheint jeder andere Mensch in Lübeck das zu glauben. Warum also nicht Ihr?«
Marike hörte die Verbitterung in seiner Stimme. Jetzt zögerte sie. Wenn der Fron mithörte, mussten sie vorsichtig reden. »Ich weiß, dass mehr dahintersteckt, als so mancher ahnt.«
Er sah auf. »Daher die Warnung, die Ihr mir in der Kirche zukommen ließt?«
»Ja.«
Er nickte düster und starrte auf seine Füße. Sie sah, dass er es hasste, dass sie ihn in einer solchen Lage sah.
»Was habt Ihr auf dem kleinen Marienkapellhof gemacht?«, fragte sie dann.
»Ich wollte meinerseits Pater Martin warnen.«
»Warnen? Wovor?«
»Ich glaube, Ihr wisst, wovor«, formulierte Notke ebenso vorsichtig wie Marike. »Die Reihenfolge«, deutete er dann an. »Ich weiß nicht, warum das alles passiert, aber dass etwas passiert, ist offensichtlich. Ich habe geraten.«
Also war auch Notke aufgefallen, dass die Ermordeten die selbe Ständereihe bildeten wie der Totentanz. Wäre sie nicht vor der Pest nach Hause geflohen, hätte Martin jetzt noch am Leben sein können. Sie schloss die Augen, denn nun konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten.
»Es ist nicht Eure Schuld«, flüsterte Notke, als läse er ihre Gedanken. »Und nicht meine. Es tut mir nur leid, dass ich zu spät kam.« Unwillkürlich öffnete sie die Augen wieder, um in seinen zu lesen. Darin lag so viel Wärme, dass sie trotz der Tränen lächeln musste. Dann wischte sie mit dem Ärmel über die Wangen und fragte leise: »Was genau ist geschehen?«
Der Maler strich sich das schmuddelige Haar aus der Stirn und zuckte linkisch mit den Schultern, als er nach Worten suchte. Dann huschte ein selbstironisches Schmunzeln über seine Lippen. »Manchmal sollte man anderer Leute Ratschläge wohl ernster nehmen.« Er spielte auf ihre Worte in der Marienkirche an. Sie hatte ihn zu Martin geschickt, doch er hatte nicht auf sie gehört.
»Ich wollte Martin dann doch sprechen, wie Ihr es mir gesagt hattet«, meinte er entschuldigend. »Doch der war fort, und der Küster sagte, er sei zu einem Treffen in dem Marienkapellhof nahe Sankt Katharinen. Mit mir.«
»Doch Ihr hattet damit nichts zu tun, richtig?«, fragte Marike leise.
»Richtig«, seufzte Notke.
»Er war im Kirchhof, nicht?«, flüsterte sie. Notke nickte. »Beim Schrein der Maria dort. Er schien nach der Statue zu greifen.«
Merkwürdigerweise beruhigte Marike der Gedanke, dass Martin ausgerechnet dort gestorben war. An dem Ort gedachte sie bereits der Mutter. Dort würde sie auch Martin stets finden.
Der schlanke Maler wechselte in den Schneidersitz und streckte wie zufällig seinen Arm aus. Seine Hand strich kurz über ihren Zeigefinger. Die Berührung war nur ganz flüchtig, doch Marike spürte den Trost, der von ihr ausging. Sie wollte sich in seine Arme schmiegen und ausweinen, bis alle Traurigkeit von ihr gewichen wäre. Doch das konnte sie vor fremder Leute Augen kaum tun.
»Ich bin für Euch da«, murmelte er. Dann wies er mit gespielter Schicksalsergebenheit auf die Backsteinmauern der kleinen Zelle und schmunzelte. »Nur in dieser armseligen Zelle«, bekannte er mit einem schiefen Lächeln, »aber immerhin.« Auch Marike musste lächeln. Sein Humor tat ihr gut. Warum wusste er immer genau das Richtige zu sagen, um sie aufzumuntern?
Der Maler wurde wieder ernst. »Jemand versucht, mich an den Galgen zu bringen«, berichtete er
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