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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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– und das für nichts und wieder nichts.«
    Der Kerl vor ihr zögerte und wich ihrem Blick aus. Marike besaß keine Kraft mehr. Doch eines musste sie wissen. »Welchem Ende dient das alles? Wenn du etwas weißt, dann sag es mir bitte.«
    Der Flötenspieler schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Aber ich weiß«, fügte er schnell an, als Marike ihn unterbrechen wollte, »dass du mir das nicht glaubst. Ich habe keine Ahnung, was sie bezwecken. Ich weiß nur, dass sie glauben, einem Gott zu dienen.»
    »Veles.«
    »Oh, kluges Mädchen«, grinste der Pfeifer. Jetzt lehnte er sich schief an den Lindenbaum und stellte ein Bein hinter das andere. »Und gleich nennst du mich einen Teufelsanbeter und schleifst mich in die Pestgruben, hm?«
    Zu ihrer eigenen Überraschung schüttelte Marike den Kopf. »Nein, das werde ich nicht tun. Aber du wirst mir sagen, warum sie deinem Gott diese Opfer bringen.« Sie wies auf sein zerrissenes Hemd, das einen Blick auf seine kräftige Brust gestattete. »Du musst es doch wissen.«
    Wieder schüttelte er den Kopf. »Du hörst auch nur, was du willst, hm? Ich habe keine Ahnung! Was sie getan haben ist … falsch. Veles ist kein Gott, der solche Opfer verlangt. Er ist nicht grimmig und nicht kalt. Er ist kein Teufel – erst dein Vater und diese Bruderschaft machen ihn durch ihre Taten dazu, Marike! Veles liebt das Leben wie dein Gott auch. Warum sollte er sonst immer und immer wieder mit seinem Widersacher um seine Braut kämpfen?« Er wies mit dem Kinn in den Himmel. »Man sagt, in jedem Gewitter tobt der Kampf um die Schöne, die beider Herzen entflammt hat – das des Himmelsgottes und das von Veles, der über die Unterwelt gebietet. Mal sagt man, Perun habe sie Veles gestohlen, mal umgekehrt. Doch immer kämpfen sie um sie. Keiner will, dass sich etwas ändert, doch sie können einander das Glück nicht lassen …«
    Marike faltete ungeduldig das Pergament zusammen. »Ich kenne die Geschichte. Vielleicht sollte die Schöne einfach auswandern.« Sie wollte keine Lektion über fremde Götzen hören. »Du hast also keine Ahnung, was sie vorhaben?«
    Der Pfeifer schüttelte die Mähne. »Nein.«
    Traurig wandte Marike sich wieder dem Marienbildnis zu. Sie ließ die Schultern sinken. Was hatte sie sich erhofft? Dass der mysteriöse Mann ihr all die Fragen beantwortete, die sie in ihrem Inneren bewegten? Nein, das konnte nur einer – ihr Vater. Doch den würde sie nicht fragen. Sie wollte ihn niemals wiedersehen.
    In der Ferne begann die Totenglocke von Sankt Marien zu läuten. Marike kannte den Klang gut – er hatte sie immer tief erschreckt, so lange sie denken konnte. Doch dieses Mal berührte er sie nicht. Im Gegenteil – das Dauerläuten schien der unheilvolle Bote einer tieferen Weisheit. »Dann ist es also vorbei«, murmelte sie. »Wir haben wirklich verloren.«
    Noch immer an den Baum gelehnt, zuckte der wölfisch aussehende Mann mit der freien Schulter. »Haben wir das?«
    »Sie sind alle tot«, flüsterte Marike. »Und mein Vater hat sie auf dem Gewissen.«
    »Dein Vater«, wiederholte der Mann. »Nicht du.« Wann hatte er angefangen, sie zu duzen? Doch Marike war es egal.
    »Was soll ich jetzt nur machen?«, fragte sie sich selbst laut. »Mein Leben liegt in Scherben. Ich könnte genauso gut tot sein.«
    Hinter ihr schnaubte der Pfeifer abfällig. »Wenn du so denkst, dann bist du bereits tot. Ist dir mal in den Sinn gekommen, dass dein Leben jetzt erst anfangen könnte?«
    Sie drehte sich genervt um. »Nur weil du nichts zu verlieren hast, heißt das nicht, dass das allen so geht«, stieß sie hervor. »Ich hatte ein sicheres Leben – und nun? Nun bin ich nicht mehr wert als eine Hure!«
    Der Pfeifer lächelte traurig. »Wer sagt, dass ich weniger verloren habe als du?«
    Marike verstummte. Ja, wer sagte das? Doch sie wollte seine Geschichte nicht hören. »Das ist etwas anderes. Du bist ein Mann, du kannst für dich selbst sorgen. Und überhaupt weißt du nichts von meinem Leben. Ich hatte es auch nicht immer leicht. Doch jetzt ist alles vorbei.« Sie hatte einen Knoten im Hals.
    Der Mann rollte mit den Augen. »Dass ihr reichen Leut’ euch immer so davor fürchtet.«
    »Wovor?«, fragte Marike, während sie noch gegen die Verzweiflung ankämpfte.
    »Vor dem Rad des Schicksals, das einen mal hinauf-, mal hinabreißt«, erwiderte der Wolf grinsend. »Vor dem, was ihr nicht kennt. Ihr vergrabt euch im Alltag und wagt den Blick nicht zu heben. Alles, was anders ist, ist

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