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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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eine Macht darin enthalten war – nämlich die des Herrn. Dieser kleine Splitter aber barg die Macht des Todes über die Seelen, und dieser Umstand lehrte den alten Pertzeval jedes Mal wieder das Fürchten.
    »Veles, Herr der Unterwelt«, sprach er mit zitternder Stimme, »sieh den Tod aus Lübeck, den ich dir darbringe. Sieh die Jung frau und führe sie in den Tanz des Todes. Siehe, sie folgt dem Jüngling, und sie geht dem Kind voran.« Damit heftete er der Hure den Span auf die Stirn an jene Stelle, die mit beiden Augen ein flaches Dreieck bildete. Er verharrte und schaute auf sein Werk.
    Als er fertig war, gluckerte um ihn herum das Wasser noch immer von den Dächern und Bäumen auf die Wege und Straßen, suchte sich seinen Weg und floss immer hügelab, hin zum Fluss. Es war ein gutes, ein friedliches Geräusch, fand Johannes. Lübeck befand sich im Wandel, das konnte er spüren. Doch das durfte nicht sein. Diese Stadt war alles, was er besaß. Genug hatte sich in den letzten Jahren geändert, und immer nur zum Schlechteren. Er holte tief Luft, keuchte hustend und erhob sich dann. Nicht mehr lange, dann hätte er Ruhe. Nun brauchte er nur noch ein einziges Opfer.
    Der Alte nahm seinen Beutel auf, packte die Utensilien ein und machte sich auf nach Hause, zu seiner Marike. Heute hätte all das Übel ein Ende. Der verdammte Maler hatte endlich sein Bild beendet, dann wäre der Bann komplett und würde für alle Ewigkeiten bestehen. Danach könnte er sein Leben mit seiner Tochter genießen und müsste nicht darum bangen, sie zu verlieren, oder sie allein zurücklassen zu müssen. Sie wären für immer vereint. Johannes Pertzevals Herz war froh darum.

KAPITEL 17
    D ie Morgensonne schien auf die Straßen Lübecks und vertrieb die letzten Schatten der Nacht. Die Feuchtigkeit der Gewitternacht floh bereits vor der Wärme, doch noch standen die Pfützen in den Niederungen, den Schweinetrögen und Löchern im Pflaster. In wenigen Stunden würde die Sommerhitze zurückkehren und die Feuchtigkeit dampfend schwinden. Die junge Frau wanderte im weißen dünnen Hemd durch die Straßen und genoss die Wärme auf der Haut. Ein leichter, frischer Wind von See streichelte ihr Haar und liebkoste ihre Beine mit dem Leinenstoff.
    Die Gasse, die Marike entlangging, war eng, doch beengter noch wurde sie durch die Leichen, die sich in der Gosse stapelten. So gut wie vor jeder Tür lag ein toter Körper, der durch Krankheit und Leid entstellt war; vor manchen auch zwei oder drei. Dazu hatte man wahllos Habseligkeiten der Verstorbenen auf die Straße geworfen – von Kleidungsstücken über Essensreste, an denen sich Ratten gütlich taten, bis hin zu Decken und Spielzeug. Vor einem ärmlichen Haus lag ein toter Hund neben einem von Beulen entstellten Kind, unter dem noch seine geschnitzte Holzpuppe und eine Ratsche herausragten. Vor einem besser gepflegten Haus mit Malereien auf der Wand fanden sich zwei Körper: Ein alter Mann und eine junge Frau, deren rundlicher Bauch von einer Schwangerschaft zeugte. Dieses Kind würde niemals geboren werden.
    Trotz der frühen Stunde stand ein Karren in der Straße. Die beiden Pestfahrer waren mit Tüchern vor dem Gesicht dabei, eine berockte Leiche und ein paar Kleidungsstücke auf die Ladefläche zu werfen. Marike drängte sich zwischen Karren und Wand vorbei und warf einen Blick auf den Menschenhaufen. Kaum ein Drittel der Gasse war geräumt, und schon mussten die Pestfahrer ihre stille Fracht wieder zu den Gruben bringen. Es war, als wäre der Tod allgegenwärtig. Wohin sie sich auch wandte, sie konnte ihm nicht entkommen.
    Die junge Frau wunderte sich über sich selbst. Vorhin, als sie von ihrem gemeinsamen Lager aufgestanden war und Bernt schlafend zurückgelassen hatte, da war sie rausgegangen, um sich ihrer Gefühle klar zu werden. Jetzt aber, da sie wie ersehnt Licht, Luft und Einsamkeit umgaben, da spürte sie gar nichts. Nicht einmal Tod und Verderben um sie herum beeindruckten sie. Warum fühlte sie nichts?
    Endlich verhielt Marike ihren Schritt und sah auf, um sich zu orientieren. Wo hatte es sie hinverschlagen? Sie erkannte die Straßen und die Türme, und doch schien ihr die Stadt plötzlich fremd. Sie sah nach oben und suchte den nächsten Kirchturm. Als sie den Dachreiter von Sankt Katharinen vor sich erspähte, wunderte sie sich nicht. Sie musste irgendwo im Viertel der Seeschiffer übernachtet haben.
    Jetzt stand sie vor dem kleinen Hof der Marienkapelle, den man zwischen den

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