Das Mädchen und der Schwarze Tod
nicht, wo es anfängt, und ich will mir nicht ausmalen, wo es aufhören wird …«
»Marike, du bist ganz verwirrt. Ordne erst einmal deine Gedanken.«
»Es tut mir leid, Pater. Ich weiß einfach nicht mehr, was ich glauben soll … Ich mache mir solche Sorgen.«
»Sorgen? Um wen machst du dir Sorgen?«
Marike schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht, Pater. Das ist ja genau mein Problem.«
Der Pater musterte sie eindringlich und besorgt. Dann schüttelte er den Kopf mit den dicken Augengläsern: »Marike, ich kann dir nicht helfen, wenn du mir nicht genau erzählst, was vorgefallen ist.«
Sie nickte und atmete durch, um Mut zu schöpfen. »Und Ihr werdet niemandem davon berichten?«
»Niemandem.«
»Auch meinem Vater nicht?«
Er zögerte. »Ist das ein … familiäres Problem?« Sein Blick zuckte zu ihrem Schoß. »Hat es etwas mit dem Maler Notke zu tun?«
Marike schüttelte lächelnd den Kopf, sodass die rotblonden Haare tanzten. »Nein, Pater. Nichts dieser Art.«
»Nicht? Das ist gut«, meinte der Priester erleichtert.
»Ihr mögt Notke nicht sonderlich, wie?«
Der Pater wog nachdenklich den Kopf. »Ich weiß, dass du ihn magst. Ich finde ihn ein wenig … kühl. Ich bin erstaunt, dass dir seine spitze Zunge nichts ausmacht.«
»Genau das mag ich an ihm«, lächelte sie warm. Dann wurde sie ernst. »Aber meine Sorgen haben nichts mit ihm zu tun.«
»Gut. Dann wird auch dein Vater nichts erfahren.«
»Ich danke Euch!«, seufzte Marike erleichtert. Dann begann sie, dem Freund ihre Erlebnisse zu erzählen. Sie erzählte von der Warnung ihres Vaters vor Lynow, wie sie dem Mann in den Rovershagen gefolgt war, weil er etwas gegen den Vater ausheckte. Davon, dass Lynow dort Schurken getroffen hatte, unter anderem den Flötenspieler, der sie später bedroht hatte. Und schließlich erzählte sie auch noch von der Konfrontation mit Lynow und dass der Flötenspieler dafür gesorgt habe, dass er freikäme. Als sie fertig war, schwieg der Geistliche für einen Moment. Dann fragte er in ungläubigem Ton: »Du warst im Rovershagen?«
»Ja, Pater, aber das ist doch jetzt nicht -«
»Nachts?«
»Ja, nachts, aber viel wichtiger ist doch -«
»Allein?« Der Tonfall des Priesters entgleiste immer mehr. »Ich hatte dich für klüger gehalten!«
Unwillens sich zu verteidigen, unterbrach Marike ungeduldig: »Pater, wollt Ihr mich nun verurteilen oder mir helfen? Dann müsst Ihr mir schon zuhören! Es ist wichtig!«
Der Geistliche schaute sie prüfend an. Dann schloss er seine Augen und schüttelte unwillig den Kopf. Schließlich entließ er einen Seufzer. »Erzähl schon, Kind. Wie hat er dich bedroht?«
»Er hat gesagt, Menschen seien gestorben, die weit einflussreicher gewesen wären als ich. Und wenn ich nach Hause ginge und meine Nase nicht in seine Angelegenheiten steckte, dann würde niemand sterben, der mir nahesteht.«
Das schien den Pater ebenfalls zu beunruhigen. »Hat er das so gesagt?«
Marike ging in sich und versuchte, sich genau zu erinnern. »Hm, eigentlich hat er es andersherum gesagt. Stecke deine Nase in deine eigenen Angelegenheiten, hat er gesagt, und, dass weitere Menschen sterben würden. Wenn ich mich um meine Familie und Freunde kümmern und aufhören würde, in seiner Welt herumzustochern, dann sei mit ein bisschen Glück niemand dabei, der mir nahestünde.« Wie oft hatte Marike hier schon in Trauer, Melancholie oder Wut gesessen – doch an eine so tiefe Verwirrung und Verzweiflung konnte sie sich nicht erinnern.
Auch der Pater neben ihr hatte geschwiegen, um ihre Worte zu verdauen. »Und nun fürchtest du, dass dieser Schausteller seine Drohung wahr machen wird?«
»Anfangs war ich nur beunruhigt, Pater. Dann kam der Tod von Gunther von Kirchow. Und nun, heute Morgen«, sie schluckte schwer, »heute Morgen ging das Gerücht um, Bürgermeister von Calven sei tot. Manche sagen, er sei im Bett gestorben, andere behaupten, er habe sich in einer Grube in der Fleischhauerstraße zu Tode gestürzt.«
Martin nickte. »Ich habe davon gehört. Egal, wie er gestorben ist, er war ein guter Mann.« Er legte die Stirn nachdenklich in Falten. »Aber was hat von Calvens Tod mit dem Schausteller zu tun?«
Marike zuckte mit den Schultern. »Er war früher, als ich klein war, oft bei uns zu Gast und hatte einen Narren an mir gefressen. In den letzten Jahren ist der Kontakt eingeschlafen. Aber, Pater – ich habe ihn wie einen Onkel geschätzt! Und die anderen Leute, die in der letzten Zeit
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