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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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Schatten einer Türnische.
    Glücklicherweise musste Wilhelm nicht lange warten. Er freute sich, dass das Alter auch Vorteile mit sich brachte: Man war nicht mehr von solch jugendlicher Eile gedrängt wie der zwielichtige Geselle, der sich nun aus dem Schatten der Häuser löste. Eine Gugel verbarg das Haupt, und auch dieser nächtliche Spaziergänger trug keine Lampe. War dies ein Bewohner des Armenhauses, der seine zweifelhaften Geschäfte nicht aufgegeben hatte? Oder wurde Wilhelm verfolgt? Der Bürgermeister verharrte gespannt im Dunkeln. Dann blieb der Fremde auf der Straße stehen und sah sich suchend um.
    Wilhelm hielt den Atem an, als die Gestalt umdrehte und taumelnd zurückkam. Sah er schon Schatten, wo keine waren? War dies bloß ein Trunkenbold? Doch der Bürgermeister fühlte sich in seiner eigenen Stadt nicht mehr sicher – und kaum ein Gedanke machte ihm mehr Sorgen als dieser.
    Der Vermummte bewegte sich; er ging unsicher die Straße hoch. Wilhelm hatte im Leben viele Trunkenbolde gesehen und fand, dass die sich anders bewegten. Dieser Kerl schien hastig und fahrig. Auf der Kreuzung mit der Fleischhauerstraße blieb er stehen und sah sich suchend um. Und spätestens hier erfasste eine sichere Gewissheit von Wilhelm von Calven Besitz. Dieser Mann suchte etwas – suchte jemanden. Und dieser Jemand war von Calven selbst. Als der Schatten um die Ecke verschwand, vermutlich die Straße der Fleischhauer hinauf, löste sich von Calven aus dem Türrahmen und folgte ihm. Er schielte vorsichtig um die Ecke, doch er sah nur die einsame Gestalt die Fleischhauerstraße hinaufgehen. Wo war in solchen Stunden der Nachtwächter, wo waren die Büttel, wenn man sie brauchte? Wenn er ihm folgte, könnte er vielleicht einen von ihnen alarmieren und zusammen den Kerl festsetzen.
    Kaum hatte der Bürgermeister das beschlossen, erhöhte der Mann sein Tempo. Wilhelm fluchte und fing an zu laufen, um mithalten zu können. Schon nach wenigen Ellen keuchte er wie ein Zugpferd. Doch er schwor sich, diesen Kerl nicht entkommen zu lassen, nur weil er inzwischen zum alten Eisen gehörte!
    Als Wilhelm von Calven den Boden unter den Füßen verlor, wusste er zunächst nicht, wie ihm geschah. Er stürzte nicht wirklich tief, doch er hörte trotzdem seinen Oberschenkel knacken und spürte einen stechenden Schmerz. In totaler Finsternis, das Gesicht im nassen Dreck, tastete er um sich, doch schon kleine Bewegungen vergrößerten die Schmerzen so sehr, dass er ein lautes Stöhnen nicht unterdrücken konnte. Wütend auf seine alten Knochen biss er die Zähne zusammen und drehte sich auf die Seite. Ein leises Gurgeln ließ ihn seine Lage begreifen. Er lag auf einem Holzrohr, das durch eine klobige Muffe mit einem zweiten und einem dritten verbunden war – eine Hauszuleitung vom Hauptrohr. Ein Spalt im Holz sorgte dafür, dass die Grube stets mit drei Handbreit schnell versiegendem kühlen Wasser gefüllt war. Er war in eine der Gruben gefallen, in denen die unterirdischen Wasserleitungen für die Knochenhauer und Bierbrauer repariert wurden. Wäre er vorschriftsmäßig mit Licht unterwegs gewesen, hätte er das tiefe Loch im Boden rechtzeitig gesehen. Die ganze Stadt würde morgen über ihn lachen, so viel war klar.
    »Heda?«, rief er probehalber. Nur gut, dass sein Verfolger fort war. »Zu Hilfe! Hört mich jemand?« Er lauschte in die Dunkelheit hinaus und hörte tatsächlich Schritte. »Heda! Hier unten! Habt acht, hier ist ein Loch!«
    Als eine Fackel zischend neben ihm ins Wasser fiel, schreckte Bürgermeister von Calven auf. Etwas stimmte nicht. Die Fackel litt unter der Feuchtigkeit, spendete aber immer noch eine vage Helligkeit. Als Wilhelm sich unter Schmerzen halb herumdrehte, sah er auf dem Rand der Grube über sich eine Gestalt aufragen. War der Schurke zurückgekehrt? Nein, dieser trug keine Gugel.
    »Was willst du, Kerl? Erkläre dich!«
    Der Mann stand nur da und schwieg. Gegen das Mondlicht sah man nur den Umriss eines Glatzkopfes, dem ein Ohr fehlte.
    »Sag mir einen Namen, Mann, sonst schrei ich nach dem Büttel!«
    Doch der Bürgermeister erhielt noch immer keine Antwort. Als der vertraute Schatten mit Gugel neben den ersten trat, fing von Calven an zu beten. Doch im Innersten fürchtete er, dass der Herr ihm in dieser Situation auch nicht mehr beistehen konnte.

KAPITEL 7
    A ve Maria, gratia plena, Dominus tecum. Benedicta tu in mulieribus, et benedictus fructus ventris tui Jesus.« Marike betete das Ave Maria zum

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