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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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Händlerbuden und Marktgängern erfüllt, während in der Leutekirche gerade eine Messe stattfand.
    Der beleibte Küster Krontorp empfing den Meister des Heiligen-Geist-Hospitals mit einer feinen Bierfahne und geleitete ihn zur Ratskapelle, in der sonst die Gebete und so manche Versammlung des Stadtrates stattfanden. Ein großer Sack, vermutlich mit Münzen gefüllt, hing an dem kleinen Kran, der über dem Eingang angebracht war.
    »’s werden gerade Sachen eingeräumt«, sprach der schwerhörige Küster laut und wies hinauf. Das Gebälk der Zwischenebene, auf der die Ratstrese mit dem Goldschatz der Stadt weggeschlossen war, knackte wie zur Bestätigung.
    »Ich lass Euch dann mal allein, nich’, denn wenn der Herr hatt’ die Pest, nich’, dann will ich mich nich’ anstecken.«
    »Bringt mir nur noch eine große Schale mit Wasser, ja? Und meinen Gruß an die Frau Küsterin.«
    »Nah«, grunzte Krontorp mit einem schiefen Lächeln. »Wenn ich der über’n Weg lauf, schimpft die mich nur aus. Ich hab dem Domherrn Nikolaus noch Sachen zurechtzulegen, der zieht mir sonst die Ohren lang!« Damit schlurfte der Küster weg.
    Abgesehen davon, dass Anselmus die Untersuchung des Körpers lieber alleine vornehmen wollte, konnte er die Angst Meister Krontorps nachempfinden – er selbst empfand sie auch. Natürlich wusste er, dass er sich in Gefahr begab, die Pest als einer der Ersten zu bekommen, wenn er als Pestarzt die Leichen begutachtete. Und natürlich schreckte ihn diese Aussicht. Doch Anselmus vertraute auf den Herrn und dessen göttlichen Plan. Er würde sich in aller Demut um ein reines Herz und ein leichtes Gewissen bemühen und darauf, dass Gott die Seinen in Schutz nahm.
    Der Bürgermeister lag aufgebahrt auf einem großen Holztisch im hinteren Bereich der Ratskapelle. Man hatte ihn in die Decke eingeschlagen, in der man ihn hertransportiert hatte. Darauf lag ein Kruzifix. Anselmus ging vorsichtig näher und legte das heilige Symbol beiseite. Er hielt sich ein Tuch vor den Mund und griff den mitgebrachten Stock fester. Damit schob er die Bahnen der Decke beiseite, ohne sie zu berühren – man konnte ja nie wissen. Er zog die Augenbrauen hoch, als er den getrockneten Schlamm und die Reste von Blut und Lehm an dem Körper sah. Also stimmte, was man sich erzählte: Der alte von Calven war in einer Grube zu Tode gestürzt. Er war ein feiner Mann gewesen. Ein solches Ende hatte er nicht verdient.
    Nachdem er eine Schale mit Weihrauch gegen die schlechte Luft entzündet hatte, machte sich Anselmus daran, mithilfe des Stockes die offensichtlichsten Stellen des Körpers nach Pestbeulen abzusuchen. Man fand sie meist an drei Orten: in der Leistengegend, am Hals oder unter den Achseln nahe des Herzens. Anselmus hatte vor vierzehn Jahren die Vermutung angestellt, dass die Beulen dort auftraten, wo die Sünden des Kranken saßen, nämlich am Körper, im Geist oder in der Seele. Gott strafte die verdorbenen Menschen nicht wahllos. Also schnitt der Bruder das Wams des Bürgermeisters auf und versuchte, den Kopf hin und her zu wenden. Der Leichnam war völlig starr und machte ihm die Untersuchung nicht ganz einfach. Doch der Hals war makellos. Bei Armen und Beinen ging er genauso vor. Als der rundliche Mann mit seiner Arbeit fertig war, schwitzte er von Kopf bis Fuß, doch er konnte mit rechter Sicherheit sagen, dass von Calven nicht krank gewesen war – es gab keine Beulen und keine schwarzen Male. Eine gewisse Anspannung fiel von Anselmus ab, und er setzte sich für einen Augenblick erleichtert in das Chorgestühl an der Wand. Er nahm ein paar Züge der weihrauchgeschwängerten Luft und dankte Gott für seine Gnade. Der Pesttod war ein elendes Ende.
    Anselmus legte Lappen und Öl bereit, um den Leichnam zu waschen und auf andere Wunden zu untersuchen, die unter dem Dreck eventuell zum Vorschein kämen. Denn wenn er sich nicht irrte, erspähte er auf der Stirn des Toten einen Holzsplitter an genau derselben Stelle, wie der junge Gunther von Kirchow ihn getragen hatte.
    Das Klingen von Metall auf Stein vor der Kapelle schreckte ihn auf. Schnell war die Furcht wieder da, die den Bruder seit dem Besuch von Marike Pertzeval und Pater Martin begleitete. Vom Hauptschiff her hörte man immer noch den Gesang der Totenmesse, und ansonsten nur das leise Knarren der Holzbalken. War das der Küster? Nur gut, dass man den Leichnam so in der Ratskapelle aufgebahrt hatte, dass er durch eine Wand vom Altarumgang getrennt war. So war auch

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