Das Mädchen und der Schwarze Tod
»Gesegnet – vom Sohn Gottes. Das ist – schön!« Sie lächelte verlegen. »Wunderbar!«
Offenbar hielt die frische Witwe Marikes Skepsis für höfliche Anteilnahme. »Aber, Jungfer – ich weiß, dass meine Tochter und Ihr nicht immer beste Freundinnen wart. Doch der Herr sieht falsche Freude nicht gern. Besonders, wenn es sich um ein so gnadenvolles Zeichen handelt wie dieses.«
»Freude – ich will mich ja freuen, Herrin. Vergebt mir, ich bin verwirrt. Was für ein Zeichen denn?« Marike wunderte sich über diesen Charakterwandel der beiden Frauen. Vor ein paar Tagen waren sie noch die Verkörperung arroganter Selbstverliebtheit gewesen, heute schienen sie vor frommen Gefühlen beinahe über dem Boden zu schweben.
»Mein Gemahl, Gott sei seiner Seele gnädig, trug einen Span des Heiligen Kreuzes auf der Stirn. Vom Kreuze Christi, Jungfer! Ist das nicht eine wahre Gnade des Herrn?«
In Marikes Erinnerung tauchten die Bilder des toten Gunther von Kirchow wieder auf, die sie zu versenken versucht hatte. Sie gedachte des kleinen Einstiches auf der Stirn, über den sie sich gewundert hatte, denn er hatte nicht wie ein Kratzer oder eine zufällige Wunde gewirkt. Dafür war er zu perfekt mitten zwischen den Augen, etwa zwei Fingerbreit darüber angeordnet gewesen. Wenn bei Bürgermeister von Calven an dieser Stelle ein Holzsplitter gesteckt hatte, dann konnte das auch bei Gunther von Kirchow der Fall gewesen sein. Doch eine Gnade Jesu Christi? Marike bezweifelte es. Für einen Augenblick wusste sie nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. »Ihr habt sicher recht«, meinte sie und lächelte verlegen. Der junge Ratsherr Ulrich Cornelius, der vor zwei Jahren zum Befehlshaber der Lübecker Flotte ernannt worden war, bewahrte sie vor Schlimmerem, denn auch er sprach den Frauen von Calven sein Beileid aus.
Marike verabschiedete sich grübelnd. Natürlich wusste sie, dass dieser Fund des »Heiligen Kreuzes Span« der Familie von Calven zugutekam. So würden die Umstände des Todes Wilhelm von Calvens seinen zu Lebzeiten erworbenen Ruf nicht in jenen Dreck ziehen, in dem man ihn angeblich gefunden hatte. Doch für sie besaß das eine ganz andere Bewandtnis. Wo blieb Pater Martin nur!
Stattdessen erspähte Marike nun Bernt Notke, und ihr Herz schlug höher. Er hatte ein enges grünes Wams mit einem feschen blauen Mantel an und strahlte voll solcher Freude zu ihr herüber, dass sich ein Lächeln auf ihr Gesicht stahl. Angemessen oder nicht – sie ging hinüber und deutete einen Knicks an. »Darf ich Euch grüßen, Herr?«
»Natürlich«, sagte Bernt Notke ebenfalls ganz förmlich. »Ihr seid mir stets willkommen, Jungfer Pertzeval.«
Für einen Augenblick wussten sie beide nicht, was sie einander sagen sollten, da ergänzte eine schleppende Stimme: »Mir auch, Jung fer .« Neben Bernt Notke war Schmied Lynow aufgetaucht. »Immerhin seid Ihr hier in anständiger Gesellschaft.«
Marike bezwang den Impuls, ihm zu widersprechen, und senkte das Haupt höflich zum Gruß.
»Habt Ihr mein Angebot überdacht?«, schnarrte Lynow. Er sah schlimm aus – als habe er tagelang nicht geschlafen. Doch vermutlich war er nur wieder betrunken.
»Ihr habt Eure Antwort längst erhalten, Herr«, erwiderte Marike kühl.
»Das war nicht Euer letztes Wort«, grinste er.
»Oh, das war es, Herr. Reicht Euch ein dreimaliges ›Nein‹ nicht?«
»Nein«, schnaubte er fahrig. Jemand aus der Menge rief nach ihm. »Ihr werdet’s Euch überlegen. Notke«, er drehte sich um und drohte dem Maler mit dem Finger, »vergesst meine Worte nicht!« Dann wankte er von dannen.
Marike schüttelte der Ekel, als sie ihm nachsah. Dass er so schnell klein beigeben würde, hatte sie nicht gedacht – doch sie war froh darum. »Was hat er damit gemeint?«
»Nichts«, sagte Notke eilig. »Nichts.«
Nun hatte Marike den Maler für sich. Sollte sie ihn vor Lynow warnen? Er kannte Stadt und Leute nicht, und vielleicht ließ er sich mit den falschen Leuten ein … Nachdenklich tastete sie nach ihrem Rosenkranz, bis ihr einfiel, dass sie ihn schon vorhin vermisst hatte. Sie suchte sicherheitshalber noch einmal im Ärmel. »Wo ist er denn nur …«
»Wo ist was, Jungfer?«
»Mein Paternoster. Ich muss ihn verloren haben.« Sie machte eine Pause. »Gestern auf dem Marienkapellhof hatte ich ihn noch.«
»Wirklich?« Notke nahm seinen Rosenkranz unter dem Gewand hervor, zog ihn über den Kopf und bot ihn ihr an. »Nehmt meinen.«
Marike staunte. »Ich – das
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