Das Mädchen und der Schwarze Tod
Mauern Lübecks umgebracht wird. Demnächst rechnest du auch noch Pater Paulus auf sein Konto.«
Marike horchte auf. »Domherr Paulus ist tot?« »Nur keine Bange, Marike. Das hat damit sicher nichts zu tun. Es sieht ganz so aus, als hätte ihn der Teufel endlich für seine Sünden büßen lassen.«
»Was ist passiert?«, fragte Marike atemlos.
»Er ist erstochen worden – vor seinem Haus. Darin hat er billige Huren vermietet. Ein Verbrechen, ja – aber eines, das mit unserem sicher nichts zu tun hat.«
»Woher wisst Ihr das, Pater? Es könnte doch immerhin sein!«
»Wenn wir jede Untat, die momentan in Lübeck begangen wird, mit einbeziehen, dann sehen wir den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr, Marike. Lass uns unsere Gedanken auf das Wesentliche konzentrieren.«
»Und was ist das Wesentliche? Was sollen wir jetzt tun?«
Einen Augenblick lang sah Pater Martin so aus, als wisse er das auch nicht – und nichts fürchtete Marike mehr. Dann formte sich auf seinem Gesicht ein Entschluss. »Du hältst dich von Lynow und den Fahrenden fern. Vielleicht bekommst du aus deinem Vater heraus, weshalb Lynow ihn bedroht hat. Und ich – ich werde zweierlei tun. Ich will schauen, ob ich mehr über von Kirchows Testament herausfinden kann. Und ich werde versuchen, mit deinem Flötenspieler zu sprechen. Wir müssen wissen, was er mit diesen Leuten zu tun hat. Ich glaube, dass wir im Moment das Ausmaß dieser Dinge noch gar nicht abschätzen können.«
Sie waren mittlerweile in die Johannisstraße eingebogen und kamen zum Haus der Pertzevals. Was für ein Teufel musste man sein, um gnadenlos und brutal einen so guten und unschuldigen Mann zu töten?
Der Gedanke erinnerte Marike an etwas. Vor der Haustür zögerte sie, bevor sie die nächste Frage stellte. »Sagt, Pater, wisst Ihr, wofür ein Mann mit Schlangenleib, Bockshörnern und langem Bart steht?«
Er sah auf. »Wieso fragst du das?«
»Es ist ein Zeichen, das ich an dem Flötenspieler gesehen habe.«
»Oh. Das ist nicht gut. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, es handelt sich dabei um einen Dämon der Unterwelt, wie er im Osten verehrt wurde.«
»Ein Dämon?« Marike erschauerte. »Das ist übel.«
»Ja«, murmelte Martin.
»Und wenn es sich dabei um den Teufel handelt, der alle um mich herum vernichtet?«
Der Pater machte eine bedeutungsschwangere Pause. »Dann können wir nur noch beten.«
Marike verabschiedete sich in der Tür stehend von Pater Martin und sah ihm noch kurz nach. Dann schloss sie sorgfältig den Riegel hinter sich und klappte sämtliche Fensterläden zur Straße hin zu, um sie von innen zu verriegeln. Sie hastete nach hinten und tat dasselbe mit den Fenstern und Türen von Diele und Kemenate zum Hof. Schließlich ließ sie sich langsam auf die Bank vor der Kochstelle sinken und starrte auf das einzige, was in der sich um sie herum schneller und schneller drehenden Welt noch Sinn zu ergeben schien: das Wandgemälde ihrer Mutter. Sie hatte Angst, schreckliche Angst, und sie wusste nicht, was sie tun sollte. Sie hoffte nur, dass sie nicht irgendetwas übersehen hatte. Das Schlimmste aber war, dass sie nicht zu Lyseke gehen und ihr erklären konnte, auf welche Weise Gunther von Kirchow gestorben war. Wie sollte sie auch? Sie ballte die Hände und schwor sich, Hinweise zu finden, die dessen Tod aufklären würden. Lyseke musste Gewissheit haben, was mit ihrem Geliebten geschehen war. Und dann musste Gerechtigkeit geübt werden. Denn wenn der Mord an Kirchow ungesühnt bliebe, der Lysekes Hoffnungen, ja ihr Leben zerstört hatte, dann wäre Gott wahrhaft grausam.
DER ARZT
Bruder Anselmus schüttelte ungläubig den Kopf. Marike Pertzevals Worte – »Wir glauben, jemand hat ihn erschlagen« – beunruhigten ihn mehr und mehr. Als er heute auf dem Viehmarkt ein paar Schweine zugekauft hatte, meinte er, einen schmuddeligen Kerl zu sehen, der den Eingang des Hospitals beobachtete. Anselmus sagte sich, dass er überreizt war und sich das alles nur einbildete. Doch er konnte dieses Gefühl nicht abschütteln.
Wieder sah Anselmus sich um. Ungefähr auf Höhe der Pfaffenstraße blitzte ein vertrautes Gesicht aus der Menge. Einen Augenblick lang dachte er, es handele sich um den Kerl, den er auf dem Koberg gesehen hatte. Er hatte eine Narbe, und ihm fehlte ein Ohr. Doch die Gestalt verschwand schnell wieder, und Anselmus war sich nicht sicher. Er beschleunigte seinen Schritt zur Herrentür im Süden der Marienkirche. Der Kirchhof war von
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