Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
Vom Netzwerk:
Lyseke zu erkundigen. Die Tenorstimme von Domherr Nikolaus zog ihre Aufmerksamkeit auf sich, während sie sich vorsichtig durch die Menge schob.
    »Die Seelen der Gerechten sind in Gottes Hand, und keine Qual kann sie berühren«, zitierte Nikolaus gerade das Buch der Weisheit. »›In den Augen der Toren sind sie gestorben, ihr Heimgang gilt als Unglück, ihr Scheiden von uns als Vernichtung; sie aber sind in Frieden. In den Augen der Menschen wurden sie gestraft; doch ihre Hoffnung ist voll Unsterblichkeit. Ein wenig nur werden sie gezüchtigt; doch sie empfangen große Wohltat. Denn Gott hat sie geprüft und fand sie seiner würdig.‹ So lehrt uns die Heilige Schrift, nicht um jene zu trauern, die ins Reich des Herrn eingekehrt sind, sondern uns für ihre Seelen zu freuen, denn sie empfangen große Glückseligkeit.«
    Marike blieb stehen und ließ die biblischen Worte auf sich wirken. Ihr spendeten sie Trost. Doch vermutlich wären solch salbungsvolle Worte an Lyseke jetzt vorbeigegangen. Die Freundin ließ weder Sinn noch Verstand gelten, wenn es um Gunthers Tod ging.
    Die Kaufmannstochter grüßte den Ratsherrn hastig. »Herr Oldesloe, wo steckt Lyseke nur? Will sie an der Grablegung denn gar nicht teilnehmen? Sie war schließlich beinahe des Herrn Gunthers Ehefrau.«
    Oldesloe schüttelte unwirsch den Kopf, während er weiter auf die langen Spitzen seiner Lederschuhe blickte. »Sie wird nicht kommen.« Auf Marikes irritierten Blick setzte er ungehalten hinzu: »Die Trauer setzt ihr sehr zu.« Die Freundin hatte doch um Himmels willen nicht etwa versucht, sich etwas anzutun?
    »Sendet Ihr doch bitte meine Liebe«, bat Marike. »Ich bete, dass es ihr bald wieder besser geht.«
    Oldesloe funkelte sie mit nur schwer verhohlener Feindseligkeit an. »Dann betet nur, Jungfer.« Seine Stimme war mehr ein Grollen. »Und betet auch gleich für Eure eigene Seele. Eure Taten haben genug Schaden angerichtet. Ich will Euch in meinem Haus nicht mehr sehen! Ihr haltet Euch fortan von Lyseke fern. Verstanden?« Die Kaufmannstochter spürte ihr Gesicht erglühen und wollte etwas einwenden.
    Der Ratsherr senkte seine Stimme weiter und sprach: »Und wenn ich Euch einen guten Rat geben darf, meine Liebe – Ihr solltet Lynows Angebot vielleicht annehmen. Wenn Ihr so weitermacht, habt Ihr Euch sonst durch Euren losen Lebenswandel den Ruf verdorben, bevor Ihr unter die Haube kommt! Dann müsstet Ihr auf die Straße gehen, sobald Euer Vater das Zeitliche segnet.« Seine Gestalt ragte noch einen Augenblick über ihr auf, bevor er sich abwandte und wortlos Richtung Altar ging.
    Marike sah ihm verstört nach. Warum war der Ratsherr so wütend auf sie? Oldesloe hatte doch gewusst, dass sie im Rovershagen gewesen war. Und warum war er auf einmal so dahinterher, sie mit Bernt Lynow zu verkuppeln? Ein Verdacht keimte in ihr auf. Eben noch hatte er mit Lynow gesprochen. Was, wenn Oldesloe auch in Lynows Bruderschaft war? Was, wenn die beiden dasselbe Ziel verfolgten und Oldesloe von den Todesfällen wusste? Immerhin war er der Wortführer bei dem Streit über die Schließung der Märkte mit von Calven gewesen … Doch Marike schüttelte den Kopf. Zu denken, dass Oldesloe etwas mit Gunther von Kirchows Tod zu tun hatte, war unvorstellbar.
    Als Marike zurück zu ihrem Vater gehen wollte, sah sie den Fron, den ersten Stadtbüttel Lübecks, durch die Menge schreiten. Was hatte der Mann hier zu suchen? Er wollte doch wohl kaum für des Verstorbenen Seele beten? Konrad Brigen hielt direkt auf sie zu. Hatte er etwa Hinweise, die mit Gunthers Tod in Verbindung standen? Im Hintergrund hob der Chor zu einem neuen Choral an – das Zeichen, dass man den Seelaltar vor dem Lettner verlassen und den Umgang durch die Kirche beginnen würde, bei dem an verschiedenen Altären kurz haltgemacht und für den Toten gebetet würde.
    »Jungfer Pertzeval?«, sprach Konrad Brigen sie an.
    »Ja, Herr Brigen?«
    »Auf ein Wort!« Der Mann war sehr kräftig und trug den eh halb kahlen Kopf rasiert, was ihn eher wie einen Träger oder Matrosen aussehen ließ. Doch er ließ keinen Zweifel an seiner Autorität, wenn er mit Schlägern umging oder Verurteilte zum Galgen schaffte. Es war dem Ruf einer jungen Frau nicht unbedingt förderlich, mit dem Fron in aller Öffentlichkeit gesehen zu werden. So führte Marike ihn von Alheyd gefolgt in die Beichtkapelle der Nordervorhalle, wo Notkes Totentanz halb bedeckt von einem fleckigen Leinentuch stand. Der große Aufmarsch der

Weitere Kostenlose Bücher