Das Mädchen und der Zauberer
zu weinen an, warf sich auf das alte Sofa und lag da wie ein zerrissenes Bündel Stoff. Jules schüttelte den Kopf, verriegelte wieder die Tür und steckte die Petroleumlampe an. Hier gab es noch keine Elektroleitungen. Sein Haus war ja das einzige in dieser grandiosen Wildnis.
»Er hat ein anderes Mädchen«, sagte Jules und stellte einen Fetisch auf den Tisch. Eine weiß bemalte, aus Ton gebrannte, mit Brokatstoff bekleidete Puppe, die er dem Gott der Fruchtbarkeit geweiht hatte im Namen Josephines.
»Ja!« Sie warf den Kopf zurück und stieß kleine, spitze Schreie aus.
»Einmal mußte es so kommen, Josephine.«
»Warum? Warum, Onkel Jules? Ich liebe ihn doch! Wer kann ihn so lieben wie ich? Wer ist so schön wie ich?« Sie ballte die Fäuste und hob sie hoch in die Luft. »Er will sie heiraten! Eine blonde Frau! Aus Deutschland! Hilf mir, Onkel Jules.«
»Wie kann ich dir da helfen?«
»Vernichte sie! Schütte deinen Zauber über sie aus! Mach einen Fetisch und zerstöre sie!« Sie legte die Hände aneinander, rutschte vom Sofa auf die Knie und kroch auf ihn zu. »Hilf mir, Onkel, hilf mir! Vernichte sie! Du kannst es doch! Wenn du sie nicht zerstörst, werde ich sterben! Von den Felsen am Pointe du Souffleur werde ich mich ins Meer stürzen! Ich kann nicht mehr weiterleben.«
Beim Morgengrauen fuhr Josephine zurück. Sie kam rechtzeitig zur Öffnung der Fabrik und war sehr fröhlich. Jules, ihr Onkel, der Bruder ihrer Mutter, der große Houngan, hatte ihr versprochen, zu helfen. »Gib Nachricht, wenn sie ankommt«, hatte er gesagt. Dann hatte er ihr einen Saft zu trinken gegeben. Der machte sie frei und unbeschwert, nahm allen Kummer aus ihr weg und ließ sie sogar fröhlich werden.
Eine Woche später gab sie Onkel Jules Nachricht: Sie kommt mit dem Flugzeug nach San Juan, und von dort fährt sie mit dem Schiff nach Fort de France. René will es so. Drei Tage später schickte sie Jules ein Foto der fremden blonden Frau. Sie hatte es bei René auf dem Schreibtisch gefunden und mit einer Polaroidkamera abfotografiert.
Mit gefurchter Stirn betrachtete Jules das Bild der schönen, fremden Frau. Dann setzte er sich in seinen Fetischraum, holte ein Stück Wurzelholz und begann, das Foto Petra Herwarths vor sich an die Wand gelehnt, eine Puppe zu schnitzen, die aussah wie Josephines Rivalin. Als der Fetisch fertig war, strich er ihn mit weißer Farbe an und malte ein rotes Herz auf den zwei Hände großen Körper. Sinnend saß er später vor dem fertigen Werk und überlegte. Noch war es nur eine Holzpuppe, erst, wenn über sie das Opfer ausgeschüttet worden war, wirkte der Zauber der Götter, fuhr der Fluch in den Körper.
Vorsichtig trug Jules die Puppe weg und schloß sie in einen Fetischschrank ein. Er opferte ihr noch nicht – er wollte das Opfer erst sehen. Am nächsten Tag, als Josephine ihm mitteilen konnte, wann Petra Herwarth in San Juan ankäme und wann sie weiterführe mit dem Schiff, ließ Jules sich von einem seiner Anhänger nach Fort de France fahren und kaufte im Reisebüro eine Flugkarte nach San Juan. Sie kostete 720 Francs, eine Menge Geld, aber das Leben seiner Nichte Josephine war wertvoller.
Drei Stunden vor Petra Herwarth landete Jules Tsologou Totagan in San Juan und stand an der Sperre, als die Maschine aus Frankfurt eintraf und die Reisenden durch die Paßkontrolle drängten.
Jules erkannte sie sofort. Sie trug die Haare offen, sie wehten im Wind, etwas müde sah sie aus nach diesem über zehnstündigen Flug, aber Jules verstand vollkommen Josephines Panik und Renés Entscheidung, diese Frau zu heiraten.
Er stellte sich etwas abseits an eine Säule, wartete, bis Petra zum Kofferband ging, folgte dann ihr und dem Gepäckträger zum Taxi und hörte, wie sie »Au port, s'il vous plaît!« sagte. Zum Hafen also.
Jules nahm aus Sparsamkeitsgründen einen Bus, zeigte an der Gangway des Schiffes sein in Fort de France gekauftes Ticket vor und ging an Bord. Dort lehnte er sich an die Reling, blickte über die Hafenanlagen und wartete auf Petra Herwarth.
Sie kam eine Stunde vor dem Ablegen mit einer Taxe, fröhlich, beschwingt, eine große Einkaufstüte des Hotels Caribe Hilton schwingend. Ein Offizier begrüßte sie am Eingang, ein Steward nahm ihr das Handgepäck ab und führte sie zu ihrer Kabine. Ein weiterer Schritt in ihr neues Leben.
Jules Tsologou Totagan löste sich von der Reling, ging ein Deck höher in die Pacific-Bar des Schiffes, bestellte sich einen Martinique-Rum mit
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