Das Mädchen und die Herzogin
machte. Nicht nur, dass er den Leichnam in Gewahrsam genommen hatte und sich weigerte, ihn von der Hutten’schen Familie nach Franken überführen zu lassen. Nein – etliche Flugschriften und öffentliche Ausschreiben ließ er inzwischen verbreiten, in denen er seine Tat vor aller Welt rechtfertigte: Untreue und Eidbruch habe Hans von Hutten an ihm begangen, indem er infame Lügen über sein Verhältnis zu Ursula Thumbin, einer löblichen und ehrenreichen Edelfrau, in die Welt gesetzt habe. So habe er als Fürst und Freischöffe nach dem westfälischen Femerecht, als oberster Richter über Leben und Tod, nicht anders handeln können, zumal ihm sein Diener sogar nach dem Leben getrachtet habe.
Sabina sah in die Runde der Tafelnden: Wie klein doch der Kreis geraten war. Und dies zur Taufe des wirtembergischen Thronfolgers! Ihr Sohn hätte wahrhaftig ein rauschendes Fest verdient, aber hier in Urach hatte sich schnell die Spreu vom Weizen getrennt. Jetzt zeigte sich, wer noch zum Herzog hielt. Von der Ehrbarkeit war als einziger Konrad Vautt, der Cannstatter Vogt und Schwager Reuchlins, erschienen und ließ voller Verlegenheit die besten Wünsche seitens der Landschaft ausrichten, wo man äußerst bestürzt sei über diebegangene Tat. Ansonsten hatten sich von den herzoglichen Ratspersonen und Hofbeamten nur die Männer von ritterlichem Stand nach Urach begeben, so auch Dietrichs Brüder, der Ritter Konrad Speth und der Jägermeister Reinhart Speth. Dietrich selbst mühte sich in Stuttgart noch immer um die Überführung seines toten Freundes nach Franken.
Zu Sabinas Enttäuschung war Johannes Reuchlin nicht gekommen. Sie mochte ihm deswegen nicht grollen – gewiss befand sich der alte Gelehrte in einem Gewissenskonflikt. Nachsichtig, wie er war, suchte er auch im schimpflichsten Manne noch immer nach dem Krümchen Gutem.
Sabina hob ihren Kelch. «Auf Christoph Prinz von Wirtemberg! Gott möge immer an seiner Seite stehen.»
«Auf den Thronfolger! Gott schütze ihn!»
«Und auf Euch alle, die ihr mir und meinen Kindern die Treue haltet! Gott schütze Euch.»
Wie eine eingeschworene Gemeinschaft saßen sie um die Tafel, als die Flügeltür des Speisesaals aufschwang und Dietrich mit Margretha am Arm eintrat. Voller Freude winkte Sabina die beiden heran.
«Wie schön, dass Ihr noch gekommen seid!»
«Wir wären längst hier, hätte nicht ein Erdrutsch der Kutsche den Weg versperrt.» Dietrich reichte ihr beide Hände. «Unseren herzlichsten Glückwunsch zu der Geburt Eures Sohnes. Dürfen wir ihn sehen?»
«Gleich nach dem Essen lasse ich ihn holen. Jetzt kommt aber erst mal zu Tisch.»
Die anderen Tafelgäste blickten dem Ritter erwartungsvoll entgegen. «Was gibt es Neues über unseren Tyrannen?», polterte als Erster der Braunschweiger los.
«Er bleibt dabei, rechtmäßig gehandelt zu haben. Und wegen Hänschens Überführung hab ich leider nichts ausrichtenkönnen. Im Gegenteil – am Ende hat der Herzog mich aus der Canzlei gejagt. Darum habe ich jetzt schweren Herzens mein Rücktrittsgesuch eingereicht.»
«Sehr löblich.» Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel hob seinen Pokal. «Darauf trinken wir. Am besten tretet Ihr gleich hier und heute in meine Dienste ein. So einen wie Euch könnte ich in Wolfenbüttel wohl brauchen.»
Dietrich lachte. «Danke, danke. Aber mich als Schwaben bringt Ihr nicht so leicht außer Landes. Ich habe übrigens noch andre Nachrichten. Mehr als ein Dutzend Ritter hat sich inzwischen aus Ulrichs Diensten losgesagt, der ganze Stand ist in Aufruhr. Ich hoffe doch», er warf seinen Brüdern einen scharfen Blick zu, «dass ihr beiden die Nächsten sein werdet. Ansonsten rüstet sich der Herzog für eine längere Reise. Er will offenbar nach Augsburg, zu den kaiserlichen Hoftagen.»
«Was?» – «Das wagt er?» – «Dieser Malefizkerl!»
«Er will wohl», fuhr Dietrich fort, «beim Kaiser und den Reichsständen gut Wetter machen.»
«Soll er doch!», rief der Braunschweiger. «Das letzte Wort in dieser Sache ist längst nicht gesprochen. Schließlich hat Hans von Hutten einen berühmten Vetter, der das Ohr des Kaisers hat. Als poeta laureatus am Wiener Hof wird Ulrich von Hutten unserem Ulrich eine Maulschelle verpassen, dass es knallt.»
«Hoffen wir es.»
«Und was ist – mit der Witwe?»
Sabina fragte dies ohne jegliches Mitleid. Im Gegenteil: Am liebsten hätte sie die schöne Ursula in der Hölle gewusst, zumindest irgendwo, wo sie dem Weib nie wieder
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