Das Mädchen und die Herzogin
begegnen musste. Trug die Schlampe nicht eine Mitschuld an der schrecklichen Tat?
«Ihr Vater hat sie aus Stuttgart weggebracht. Wohin, weißniemand. Es heißt», Dietrich zögerte, «es heißt, sie sei in anderen Umständen.»
Swinhardus begann zu kichern. «Wer diesen Teig angesetzt hat, können wir uns ja denken.» Er schlug sich auf den Mund. «Verzeiht, Euer Durchgeboren Hochlauchtig Gnaden und Herzogin.»
«Schon recht, Swinhardus.»
Sabina versuchte zu lächeln, aber es gelang ihr nicht. In ihrem Kopf schwirrte alles durcheinander. Ein Gedanke gleichwohl schälte sich vor allen anderen heraus: Mit dieser Freveltat hatte Ulrich das Fass zum Überlaufen gebracht. Und jetzt, wo seine Getreuen nach und nach von ihm abfielen, war seine Absetzung nur noch eine Frage der Zeit. Vorausgesetzt allerdings, der Kaiser nahm seinen einstigen Günstling nicht wieder mit offenen Armen auf.
Als sich die Tischgesellschaft Stunden später auflöste, nahm Sabina Dietrich beiseite.
«Wohin werdet Ihr gehen, wenn Ulrich Euch aus seinen Diensten entlässt?»
Er zuckte die Schultern. «Ich warte ab, wie sich die Dinge entwickeln. Aber ich gehe nirgendwohin, von wo aus ich Euch nicht in einem Tagesritt erreichen könnte.»
Die Wochen vergingen. Der kleine Christoph wurde runder und praller, und die nun zweieinhalbjährige Anna legte eine abgöttische Liebe zu ihrem kleinen Bruder an den Tag. Sabina verbrachte viel Zeit mit den beiden an der frischen Luft, im Garten, im Tiergehege beim alten Wasserschloss oder in der nahen Kartause Güterstein, wo die Wasserfälle die Felsen hinabstürzten, und sie freute sich daran, dass Anna genauso gern draußen herumtobte, wie sie selbst es als Kind getan hatte. Hier, fern dem aufgeblähten Stuttgarter Hofstaat, ginges so viel geruhsamer, einfacher und familiärer zu, fast wie in einer Großfamilie auf dem Lande. Und die Leute hier waren bei all ihrer rauen Unbeholfenheit sehr warmherzig. Wann immer sie nach draußen ging, wurden sie herzlich begrüßt, und man steckte den Kindern kleine Leckereien zu, obwohl die Menschen selbst kaum etwas hatten. Sabina merkte, dass die Uracher auf ihrer Seite standen und von Stolz erfüllt waren, dass der Thronfolger und die kleine Prinzessin in ihrem Städtchen residierten.
Da es in Stuttgart drunter und drüber ging, fand Dietrich zu ihrem Bedauern keine Gelegenheit mehr, sie zu besuchen. Noch kurz vor seiner Abreise hatte Ulrich zähneknirschend einem Außerordentlichen Landtag zustimmen müssen, für Anfang Juli, und den galt es nun vorzubereiten.
Da werden ihn die Landstände in die Knie zwingen
, hatte Dietrich ihr geschrieben,
und der alte Hutten will im Namen seiner Familie mit förmlicher Klage auf Bestrafung der Tat dringen. Auch Ihr solltet Eure Beschwerden vorbringen.
Doch zunächst einmal war Sabina froh, dass Ulrich auf seiner Reise nach Augsburg keinen Umweg über Urach gemacht hatte. Nur eine kurze Nachricht hatte er ihr von unterwegs zukommen lassen: dass sie sich augenblicklich mit den Kindern zurück nach Stuttgart zu begeben habe. Ansonsten werde er selbst sie auf dem Heimweg holen kommen, und wenn er sie auf den Rücken eines Maulesels binden müsse. Nach dem Befinden seines neugeborenen Sohnes hatte er sich mit keinem Wort erkundigt.
Dann brach mit einer Reihe heißer Tag der Sommer an. Hatte Sabina von ihrem kaiserlichen Oheim eine entscheidende Wende zu Ulrichs Schicksal als Regenten erwartet, so wurde sie von der Nachricht aus Augsburg bitter enttäuscht. Maximilian hatte Ulrich bei den Hoftagen tatsächlich in allenEhren empfangen und gleich noch zu der glanzvollen Doppelhochzeit der Kaiserenkel nach Wien geladen, die für August festgesetzt war. An dem Tag, als Sabina hiervon erfuhr, erhielt auch sie selbst ein offizielles Einladungsschreiben. Unter der Einladung, vom Hofschreiber verfasst, fand sich ein Nachsatz in der schwungvollen Handschrift des alten Kaisers:
Und so hoffe ich denn, dass sich Deine Liebden einen Ruck geben möge und diese festliche Gelegenheit nutze, um sich mit Ulrich zu versöhnen. Postscriptum: Auch Deine Brüder und Deine Mutter, meine geliebte Schwester, werden nach Wien kommen.
In ihrer Wut hatte Sabina die Nachricht zusammengeknüllt und aus dem offenen Fenster geschleudert. War das nicht der Gipfel? Nach allem, was geschehen war, sollte sie in schönster Eintracht mit Ulrich den Feierlichkeiten beiwohnen? Seite an Seite, Arm in Arm mit einem Mörder, der sogar ihr mit dem Tode gedroht
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